#5 / Von Hospital de Orbigo nach El Azubo de San Miguel / Tag 20 bis Tag 22 (544km) / SCHNEE und TRÄNEN

Tag 20

In der Herberge in Hospital de Orbigo gibt es das schönste Frühstück bisher auf dem Camino:: warmes Brot, Käse, frisch gepressten Orangensaft, ein gekochtes Ei und Kaffee.

Kein Wunder, dass ich erst um 8 losziehe. Ebenso Richard. Ich weiss nur, dass er aus Holland ist. Er geht immer allein, ich habe ihn schon desöfteren gesehen, wenn er unterwegs in irgendwelches Bars oder Bäckereien saß. Bereits zum 3. Mal haben wir die selbe Unterkunft. Die Besitzer weisen einen immer Betten zu, so dass sie bei wenigen Pilgern auch nur wenig putzen müssen. Haben Richard und ich im selben Raum ein Bett, zieht er um. Er sitzt auch mit seinem Bier immer allein, aber er grüsst freundlich, nickt und strahlt und geht. Allein. Seinen Camino. Er sollte in Amerika den Continental Divide Trail gehen, von Texas nach Yellowstone National Park. Da ist man wochenlang allein. Trotzdem bewundere ich seine Konsequenz. Er geht und ich quatsche gern, deshalb weiß ich, wie er heißt und woher er kommt.

Von Beginn begleitet mich an diesem Morgen die Sonne. Der Weg schlängelt sich über kleine Berge und Felder, endlich sind die lauten Straßen etwas weiter weg. Auf einem Feld stehen plötzlich Bänke, ein Tisch voller Essen, um eine Spende wird gebeten. Der Engel der Pilger, der hier zu einer Pause einlädt, lebt auf diesem Feld, im Winter in einem Holzverschlag, im Sommer in der Hängematte. Die Spenden reichen zum Überleben, etwas Kunst versucht der junge Mann auch zu verkaufen. Ich nehme mir ein Stück Melone und lasse eine Spende da.

Bis nach Astorga sind es heute nur 18 km. Ich genieße die stillen Stunden auf dem Weg. In der Stadt kaufe ich Nudeln, Tomatensoße, Pilze und Zwiebeln ein. Heute will ich mal wieder kochen. In der Herberge San Javier gibt es eine Küche. Und dann ist es als wäre man mit Freunden im Urlaub.

Die Wäsche baumelt zum Trocknen in der Sonne, die Tomatensoße blubbert friedvoll vor sich hin, die Nudeln dampfen. Rihanna und Reinod aus Pretoria kommen in die Küche. Ruth und ihre Tochter Raphaela. Wir essen gemeinsam. Wir reden über den Camino, er ist unser Dach. Darunter sind wir zusammen zufrieden. Ruth aus Nordhessen war schon desöfteren auf dem Camino Frances. Ihre Stimme kommt mir irgendwie bkannt vor und dann stellen wir fest, dass sie in einer Dokumentation, die ich betreuen durfte, eine wichtige Protagonistin war, sie trat als Therapeutin auf. Und nun sitzen wir hier als Pilgerinnen in einem alten Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert. Der Chef heizt den Kamin an, ein paar Rohre führen von diesem in die obere Etage, aber man kann nicht sagen, dass ein Heizeffekt eintritt. Ich gehe zeitig ins Bett und schlafe mit einem fröhlichen Stimmengewirr ein. Am nächsten Morgen stehen ein paar leere Rotweinflaschen auf dem Tisch.

Tag 21

Es ist erst das 2. Mal, dass Regen mich auf dem Camino begleitet. Von Minute zu Minute wird es kälter, es geht in die Berge. Gut, dass ich durch die vielen Kilometer bereits etwas stärker geworden bin. Über 500 habe ich bereits geschafft. Schon um 13 Uhr bin ich in der Herberge Nuestra Senora del Pilar in Rabanal del Camino. Für die Pilger war Rabanal schon immer ein wichtiger Ort – von hier aus sind es nur noch ein paar Kilometer zum höchsten Punkt des Jakobsweges, mit dem Cruz de Fero. In Rabanal wurde 2001, nachdem wieder mehr Pilger unterwegs waren, das Benediktinerkloster Monte Irago gegründet. Vier Mönche leben hier. Mehrmals am Tag finden Gottesdienste statt, in gesungener gregorianischer Lithurgie. Ich schaffe es zum gesungenen Wort Gottes, hier für mich auf dem Camino ein Muss. Mein Sohn Ole hatte Latein in der Schule, er hätte vielleicht etwas verstanden. 

In der Herberge sind inzwischen weitere Wanderer angekommen. Sie sind alle pitschnass und durchgefroren. Doch der ewig gleiche Ablauf nach Ankunft gibt einem sofort ein kleines Zuhause: Einchecken, Auspacken, Wifi prüfen, Duschen, Füsse eincremen, Wein und Dinner bestellen, Chips essen, Quatschen, Lesen, Schreiben, Schlafen, wieder Essen – und später vielleicht auch Schnarchen. 

Tag 22

Ist Schnee besser als Regen? Ich glaube schon. Er fällt von der Kleidung, man wird nicht so nass. Aber er bringt Minusgrade mit sich. Ich frühstücke lange, in der Hoffnung, der Schneefall lässt nach. Keine Chance, also ziehe ich los. Zum Montes de Leon, dem wie gesagt höchsten Punkt des Camino Frances. Das Kreuz steht in 1500 Meter Höhe in einem Steinhaufen, der von den Pilgern stetig vergrößert wird. Auch ich trage von Beginn an ein Stein mit mir, von meiner Schwiegertochter bemalt. Auf der Rückseite hat Nati die Worte Freedom, Nature und Respect geschrieben.

Ich mache im Ort Foncebadon erstmal Halt, benötige dringend Tee, muss mich einfach etwas aufwärmen. An einem Tisch sitzt Anne aus Irland. Sie ist fast 70 und war schon sehr oft auf diesem Camino und anderen. Für mich ist sie die Queen der Jakobswege.  Aber sie sagt: ‚Wir sind alle Königinnen und Könige. Weil wir hier sind.‘ Wenn sie eine Weile daheim ist, dann fühlt sie sich wie ein Hamster im Laufrad. Dann muss sie los. Ihr Mann lässt sie ziehen, der hat Rückenprobleme und kann nicht mitkommen. Und die zwei erwachsenen Söhne wissen, Anne kann auf sich aufpassen. Vor zwei Jahren wurde bei ihr Lungenkrebs festgestellt. Im Januar diesen Jahres hatte sie ihre letzte Behandlung und wußte schon da, sie wird wieder losgehen. ‚Ich schaffe nur noch 10 Kilometer am Tag. Aber immerhin. Ich bin hier. Heute ist mir etwas kalt. Ich hoffe, die Unterkunft hat einen Ofen, wo ich mich wärmen kann.‘ Ich sitze fast zwei Stunden mit Anne zusammen. Vergesse,  weiterzuziehen. Anne berührt mein Herz. Dann machen wir ein Foto und umarmen uns. Sie ist so klein und so weich wie meine Oma Sandy.

Dann gehe ich endlich los und plötzlich fehlt mir meine Oma Sandy sehr. Ich vermisse die Sommer mit ihr. Ich vermisse, wie sie mir immer die Haare geflochten hat. Mit ihr hatte ich meinen ersten Bohnenkaffee, mein erstes Bier. Ihr habe ich erzählt, dass ich den Sohn vom Koch in der Kneipe nebenan geküsst habe. Ich denke an sie und mir wird warm. Oma Sandy schickt mir kurz vor dem Kreuz eine feste Umarmung. In Gedanken danke ich Anne und wünsche ihr einen warmen Ofen für die kommende Nacht. Mein Gesicht ist nass. Es ist nicht der Schnee. Es sind Tränen. Die vielen Erinnerungen haben mich aufgerissen. Und am Kreuz stehend, bin ich mit Pilgern aus der ganzen Welt verbunden. Die vielen Steine mit unterschiedlichsten Wünschen, Natis Stein für die Familie und für jeden – all das lässt mich minutenlang dankbar und sorgenvoll am Kreuz stehen. Mitten im Schnee. Allein bin ich nicht. Jemand hat einen kleinen Schneemann gebaut.

Und trotz Schnee, Wind und Kälte bin ich dankbar für diesen Tag und komme gut gelaunt in El Azebo an.

Zum Dinner versammeln sich nur Frauen. Aus Frankreich, Finnland und Deutschland. Alle lauschen den Geschichten der beiden Finninnen, die über das Wunder der Polarlichter in ihrer Heimat reden, wie sie diese immer wieder erleben und beklatschen. Ich finde, wir alle an diesem Tisch und Anne und Oma Sandy sind ebenfalls strahlende Erscheinungen.

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