Als ich mit Eva auf dem Pacific Crest Trail 2017 wanderte, haben wir an langen Tagen, die verbunden waren mit Müdigkeit, Hunger und Schmerzen, Spiele gespielt, derweil wir Schritt für Schritt gen Norden uns kämpften. Mal sang Eva die Melodien aller Kinderserien und ich musste raten und immer, wenn diese Runde fertig war, holte ich einen Schlager raus und Eva musste den Künstler: in erraten. Ich kenne viele, viele Schlager, denn daheim im Osten haben wir auch Westfernsehen geschaut und Westradio gehört. Dabei gab es zwischen meinem Opa Sandy und mir einen Hauptstreitpunkt: Für ihn war Karel Gott klar der Beste. Für mich immer Udo Jürgens. Aber ich schweife ab. Also auf dem Trail spielten Eva und ich auch das Spiel „Was oder wen mag man lieber?“ Eva sagte: Jude Law oder Brad Pitt? Und ich antwortete: Brad Pitt.
Auf dem Harzer Hexenstieg betrug für meine Schwester und mich die Königsetappe fast 40 Kilometer. Nicht gerade wenig, wen man so kurzfristig dem Alltag entspringt und in die Wanderstiefel schlüpft. Also wurde es Zeit für das Entweder – Oder – Spiel.
Ich: Bratwurst oder Schweinenackensteak. Meine Schwester … bekommt einen Lachanfall und sich kaum ein. Gut, dass Lachen heilt. Irgendwann, viel später, sagt sie nur: Ich hasse Bratwurst.
Doch ich habe vorgegriffen. Eine gute Geschichte beginnt mit dem Anfang. Obwohl dieser nicht genau datiert ist, im Fall der Wanderung auf dem Harzer Hexenstieg.
Als ich 2017 erfolgreich vom PCT zurückkehrte, war meine Schwester eine der erste Gratulant: innen, noch auf dem Flughafen in Berlin. Von da an waren wir öfter gemeinsam zu Fuß unterwegs und immer wieder bekam sie von mir Equipment geschenkt. Es wurde also Zeit, dieses „richtig“ auszuprobieren, besonders das Kochgeschirr! Meine Schwester wollte im Wald kochen. Ramen! Wie ich auf dem PCT. Außerdem mussten wir beide mal wieder raus und rein in die Natur, diese und uns spüren. Da meine Schwester in Braunschweig lebt, fiel die Wahl des Wanderweges leicht.
Der Harzer Hexenstieg ist für deutsche Verhältnisse ein Fernwanderweg und gilt als Top-Trail des Harzes, teuflisch schön und höllisch spannend. Namensgeber sind mystische Orte wie der Brocken oder der Hexentanzplatz, wo angeblich schon die alten Germanen mit einem Feuer die Wald- und Berggöttinnen ehrten.
Der Stieg geht einmal quer durch den Naturpark und Nationalpark Harz, die meisten Hiker starten in Osterode und enden in Thale. Nach rund 100 km sagen gängige Wanderführer, aber man kommt mit Erweiterungen, Umgehungen, Abgängen und „verlaufenen Metern“ schnell auf mehr.
Bevor wir starten, laufen wir uns auf dem Elmer Mittelgebirgszug ein. Wir hoffen auf viele Kilometer mit Ruhe, doch um den Elm herum feiern die Apfelbauern ihre Hoffeste. Wir fallen auf mit unseren Wanderstöcken und Rucksack statt Einkaufskorb. Doch direkt im Wald ist es ruhig. Wir Schwestern feiern die neuen Thermoskannen und die neuen Trailrunner. In der Gaststätte Reitling machen wir eine kurze Pause. Der Speisesaal ist voll, viele Wildgerichte füllen die Tische. Bei uns wird es russischer Zupfkuchen. Später am Abend wird gepackt, für den Harz. Für mich ein leichtes Unterfangen. Für meine Schwester eine Herausforderung, sie packt gern großzügig …. schließlich weiß man nie, welche Party gefeiert wird. Doch nun führt am Ende auch Verzicht zum Erfolg.

Wir starten mit einer Zugfahrt nach Osterode. 4,5 Tage wollen wir unterwegs sein. Die Nächte sind gebucht, im Harz ist das Zelten im Freien verboten, wir halten uns daran. In der Regionalbahn genießen wir Bahnhofskaffee und volle Brotbüchsen. Ich lese in meinem Kindl die Zeilen: „Die Stille entzückte mich. Aber nicht die Stille der Stille. Meine eigene Stille.“ Auf dem PCT dauerte es lange, bis ich meine eigene Stille „hörte“. Die dann kein Loch ist oder Nebel, sondern einfach die schönste Sinfonie ohne Worte, Gelebtes, Erfahrenes. Der Stieg wird durch seine Kürze mich nicht zur Dirigentin machen, aber schon jetzt feiere ich den entspannten Blick auf die Landschaft des nördlichsten Mittelgebirges. Bereits im Zug erkennen wir Mitwanderer. Man nickt sich zu. Unterschiede fallen auf. Meine Schwester und ich tragen die gleichen Schuhe. Man könnte uns für Testerinnen halten. Die anderen tragen viermal so große und damit sicher vier mal so schwere Rucksäcke. Vielleicht wird doch nicht gewandert, sondern umgezogen?
Den Ausgangspunkt des Harzer Hexenstieges finden wir schnell. Er ist in Osterode, der Stadt mit feinen Fachwerkhäusern, überall ausgeschildert, eine Bushaltestelle heißt sogar „Harzer Hexenstieg“.

Gleich zu Beginn geht es an einer Straße entlang eine Weile bergauf. Wir schwitzen. Dann weiter über Schotterstraßen im offenen Gelände, wenig Wald und die Sonne brennt. Wir schwitzen. Sonnencreme haben wir nicht eingepackt. Dafür Mäusespeck und Brezeln. Immer wieder treffen wir die Wanderer aus dem Zug – pausieren wir, werden wir überholt und umgekehrt. Entgegen kommen uns nur allein wandernde Männer. Einige haben schöne Hunde dabei.
Am Ende haben fast alle, die in Osterode gestartet sind, das Ziel Pension Holl und Boll in Buntenbock im Oberharz. Namensgeber der Pension sind zwei Hunde. Doch Boll ist bereits verstorben und Holl hat der jetzt Ex-Mann mitgenommen, erzählt die Besitzerin. Sie hat Lust auf Quatschen, ist dabei herzlich und freundlich. Sie hat Radler für uns und Stühle in der Abendsonne. Das gefällt den Schwestern. Nach 17 km! Und sie bittet uns, an die Hausschlüssel zu denken, da sie heute Abend mit ihrem „Neuen“ eine Verabredung zum Essen hat. Essen gibt es in der Pension nicht. Wie gut, dass wir kleine Tütensuppen mithaben. Schlürf, schlürf – meine Schwester schläft bereits gegen 19.00 Uhr ein. Gut für sie, so hört sie erst weit nach Mitternacht zum ersten Mal mein Schnarchen.

Der nächste Morgen beginnt eindeutig zu früh. Was aber nur an unsere gestellten Wecker liegt. Wir müssen eine halbe Stunde Karten spielen, bis wir mit dem ersten Lichtfetzen kurz vor 7 Uhr starten können. Ohne Frühstück aus der Pension. Dieses ist uns zu spät. Die Brotbüchse vom Zug hat noch geschmierte Stullen aus Braunschweig im Angebot.

Zuerst geht es über eine feuchte Wiese, durch das noch schlafende Buntenbock Man hört nur das Klick-Klack unserer Wanderstöcke. Als ich mit meinem Sohn an einem Sonntag mal im Elbsandsteingebirge wandern war, wurden wir von Dorfbewohnern wegen des Klackens beschimpft – es gäbe schließlich Schoner für die Wanderstöcke. Ich kenne mich mit Hiker-Equipment ziemlich gut aus. Schoner sind mir noch nie unter die Augen gekommen. Die Eintönigkeit des Klackens kann manchmal sehr beruhigend sein und wirkt auch wie ein Metronom – für ein konstantes Tempo.
Kleine Schotterstraßen wechseln sich mit Waldwegen ab, am Sumpfteich fotografieren wir den rötlichen Morgenteil des Tages. Hier im Oberharz gibt es überall Teiche, Kanäle und Gräben – sie gehören zum Harzer Wasserregal. Man kennt die Pyramiden von Gizeh, die chinesische Mauer oder auch den Kölner Dom. Das UNESCO-Weltkulturerbe Harzer Wasserleitsystem ist eher unbekannt. Dabei lieferte die Oberharzer Wasserwirtschaft bereits vor 800 Jahren Energie für den Bergbau. Die kilometerlangen Gräben und unterirdischen Wasserkanäle gelten als einzigartige Anlage weltweit.

Unser Tag findet entlang der Gräben statt. Da diese zuerst angelegt und dann gepflegt werden mussten, gibt es daneben immer einen kleinen Pfad – sicher auch schon seit 800 Jahren.
Die Sonne zeigt sich bis zum Mittag nicht, es ist leicht neblig, aber nicht windig. Wir spazieren auf dem Sperberhaier Damm, der ebenfalls zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Das Dammhaus, ein beliebtes Ausflugslokal, hat so früh nicht auf. Gut, dass wir unsere neuen Thermoskannen mit Tee gefüllt haben.
Mit Blick auf Altenau werfen wir zum ersten Mal unsere Kocher an. Meine Schwester schraubt den Kocher auf die Gaskartusche, stellt den Topf rauf, gibt in diesem Wasser und Ramen und dreht den Kochhahn auf. „Es passiert nichts“, sagt sie. Und weiter: „Noch nie benutzt und bereits kaputt.“ Ich sage nur. „Feuerzeug!“ Wir müssen lachen. Drehen den Hahn erstmal wieder zu und wedeln mit unseren Händen, das unsichtbare Gas verteilend. Nicht das Topf und wir samt Aussichtsbank noch in die Luft fliegen.

Wir löffeln still unser heißes Essen und genießen die Aussicht auf Altenau nicht. Hässliches visuelles Zentrum der Aussicht sind neun Hochhäuser. Anfang der 70er Jahre gebaut, um Fremdbetten zu schaffen. Altenau trägt den Titel „Heilklimatischer Ort“. Nach der Wende bestand für viele Bundesbürger aus den alten Bundesländern der Osten nur aus hässlichen Plattenbauten. Dann setzt euch mal auf den Bruchberg oder den Glockenberg oder auf den Schwarzenberg und schaut nach Altenau.
Gestärkt und nun mit Sonne geht’s weiter zum Torfhaus. Ab hier fällt der Harzer Hexenstieg unter die Kategorie SCHWER. Bei KOMOOT heißt es: Teile dieser Route führen durch technisch Anspruchsvolles oder gefährliches Gelände. Möglicherweise sind dafür spezielle Ausrüstung und Vorkenntnisse erforderlich. Ich finde Hinweise wie diese wichtig, aber im Falle des Stieges kann ich sie nicht nachvollziehen. Wenn man nicht gerade mit Badelatschen geht. Eher erstaunt mich, dass ich Leute sehe, die B/C – Schuhwerk tragen, geeignet für Steigeisen (Gletscher etc.) – aber keine Wanderstöcke haben. Ich gehe nie ohne. Wanderstöcke entlasten die Muskulatur und die Kniegelenke und bei unwegsamem Gelände bieten sie dem Gleichgewicht Halt. Auf dem PCT haben sie mir beim Durchqueren der Flüsse geholfen. Mussten wir auf Steinplatten unsere Zelte aufbauen, waren die Stöcke meine Zeltstangen.
Ja, auf dem Weg zum Torfhaus wird der Steig eng und geht kurz vorm Ziel etwas steil runter und wieder hoch. Gefährlich? Nein. Mit Stöcken sicherer? Auf jeden Fall.
22 km sind es an diesem Tag für meine Schwester und für mich. Viel für einen 2. Tag auf Wanderschaft. Man muss erst sein Tempo, sein Schrittmaß finden. Es ist ein wenig wie auf einem voll gestellten dunklen Dachboden. Man hangelt sich blind durch all den Kram bis zum Lichtschalter. Geht das Licht an, ist alles gut. Ich staune über meine Schwester, sie geht und geht und freut sich. Als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Sie greift nicht mal zu Kopfhörern. OK, die Sonnenbrille immer und überall. An manchen Stellen im Harz vielleicht hilfreich – es gibt viele tote Tannen.
Gegen 16 Uhr kommen wir im Torfhaus an. Wir sind nun auf 800 Metern – mit vielen Touristen. Der Osten hatte immer den Brocken. Der Westen sein Ausflugsziel Torfhaus – mit dem perfekten Blick auf den Brocken.
Wir gehen in den Globetrotter und kaufen Riegel, denn auf dem Stieg ist Essen Mangelware. Wasser hat die nette Dame am Verkaufstresen nicht für uns. Gas ist knapp, sagt sie. Schon den ganzen Sommer.
Wir machen uns auf zur Bavaria Alm, die auf dem Torfhaus ein gastronomisches Zuhause gefunden hat. Auf die Terrasse in die Sonne dürfen wir uns nicht setzen. „Es ist zu windig.“, erklärt uns eine Kellnerin. Ja klar – wir sind auf 800 Metern. Da wir hungrig sind gehen wir in die Alm und setzen uns an einen freien Tisch. Erfreut ist die Kellnerin, wieder eine andere, nicht – hier wird man schließlich platziert. Wir beruhigen uns, wir spielen Karten, bewahren Ruhe, bis wir endlich bestellen können, bis wir endlich essen können, bis wir endlich bezahlen können…

Auf der Website der Bavaria Alm steht: Wo Gutes noch gut ist. Wo Gemütlichkeit zu Hause ist. Wo sich die Herzlichkeit wohlfühlt. Wo Tradition gelebt wird. Wo Selbstgemachtes serviert wird.
Als wir das Restaurant verlassen, warten draußen über 30 Gäste auf ihre Platzierung. Was mich wundert, denn das halbe Restaurant ist leer.
Sehr freundlich empfangen werden wir im Harzresort Torfhaus, wir haben ein schönes Zimmer – und die Heizungen sind bereits angestellt. Es ist noch nicht 20 Uhr als zwei Wanderinnen schnarchen. Ob Nachbarn klopfen und sich beschweren – wer weiß? Teil 2 folgt.
he ist online, mit WANDERN, WUNDERN und ein WEINCHEN
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Wann kommt denn Folge zwei? Kann doch so schlecht warten…
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ja perfekt, hatte ich schon auf dem pct und in den alpen, dynafit!
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Die neuen Schuhe sehen ja mega aus! Laufen sie sich auch so? Keine Blasen?
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