#2019 / Kilometer 4 / Mit Humor und Biss oder wie ich auf den Kilimanjaro stieg (Teil 3)

Im Kikelewa Camp auf 3800 Metern warten unsere Zelte auf uns. Fabo hat unser Zelt aufgebaut, die Matratzen aufgeblasen, alles hergerichtet, wir drücken ihn und geben ihm ein paar Dollar. Unser deutscher Bergführer hat uns hier eingewiesen, was geht und was nicht geht. Rauch liegt über dem Lager und es duftet. Unsere Köche sind schon wieder fleißig. Eva und ich trinken Tee, ziehen uns um und legen uns hin, schlafen ein wenig. Mittagsschlaf, was für ein Luxus. Die letzte Nacht haben wir beide nicht gut geschlafen. Ich hatte Stunden überlegt, aufzustehen, um auf die Toilette zu gehen. Und Eva hatte      die Hauptrolle im Märchen „Die Prinzessin auf der Erbse“ inne. Ich kümmere mich um Evas Matte, polstere sie mit ihrer Daunenjacke der dicken Regenjacke auf, vielleicht merkt sie dann ihre Hüftknochen nicht. Am Abend hören wir, dass ein paar Mitstreiter Kopfweh haben oder der Magen spinnt. Erwin kennt das schon, immer wenn er in Afrika unterwegs ist, sind die ersten Tage nicht seine. Manuel hat Durchfall. Aber um mich herum haben alle genügend Medikamente mit, wir könnten sehr viele Bergtouristen heilen. Dieter gibt mir Salbe für meinen Arm, der ist weiter geschwollen und schmerzt ein wenig. Aber kein Vergleich zu den Wunden, die ich auf dem PCT hatte. War eine verheilt – Bäm! hatte ich eine neue Wunde.

Abends beim Essen – mit Suppe, Hauptgericht und Obst – erzähle ich über den PCT, schon klar, dass ich darüber stundenlang und gern rede. Wir könnten alle bis zum Morgen von unseren Reisen und unseren neuen Plänen sprechen.  Die Arbeit spielt keine Rolle, wir sehen im Spiegel anders aus, in dieser Welt haben wir unsere alte nicht mit. Wir verleugnen sie nicht, aber wir erholen uns von ihr.  Unser tansanisches Team redet – sehr laut, sehr angeregt. Augustino erzählt, dass seine Jungs über Fußball diskutieren. Wie wir über unsere Sucht nach dem Unterwegssein ständig reden können, kann Augustinos Team ununterbrochen über Fußball reden. Alle sind Experten. Unser Engländer David, der seit fast 20 Jahren in Berlin lebt, horcht auf: Die hören Fußball im Radio? Die haben vielleicht Ergebnisse? David denkt an seinen Heimatverein, an Liverpool. Er stürmt aus dem Zelt – und kommt mit einem breiten Grinsen im Gesicht wieder. Liverpool hat sein Auftaktspiel gewonnen. Was auch immer das heißt. Ab und an fliegt David in seine alte Heimat, auch für den Fußball. Da hat er nicht immer Karten für das Spiel im Stadion, aber daheim mit Freunden Liverpool-Spiele im englischen Fernsehen gemeinsam zu schauen, ist fast besser als im Stadion zu sitzen. David ist in seiner Freizeit viel am Berg, wandert, läuft. Er hat sich mal als Tester für La Sportiva beworben, wurde genommen, sieht dementsprechend aus – perfekt gekleidet, alles passt zur Wanderung, zu den Klimazonen. Das Testen hat auch Davids Leben verändert, er hat die Schuhe öfter geschnürt, abgenommen und fühlt sich jetzt mehr als ganzer Mensch, wenn er unterwegs ist. Ich mag seinen Humor, er lacht so wunderbar und manchmal spielt er den empörten Engländer.

Auch an diesem Abend gibt es eine Geschichte für Eva, über die Eisfallkletterer von Alaska, unsere Nachbarin Sabine hört mit. Wir sind auf Klassenfahrt, fast atmen wir gleich und doch wird es auch morgen viele Stunden am Berg geben, wo jeder für sich und auf jeden Fall anders ist.

Tag 5. Wir erwachen auf fast 3800 Höhenmetern, um 6 müssen wir hoch, ein kalter Morgen. Ehrlich gesagt würde ich noch gern in meinem neuen schönen warmen Schlafsack liegen. Eva und ich trinken unseren Kaffee sitzend nebeneinander, ein eingespieltes Team, als wären wir so schon immer unterwegs gewesen. Wir nehmen beide unseren Kaffee mit Milch. Die Sonne lässt sich noch nicht blicken, ich entscheide mich trotzdem für meine kurzen Hosen. Es wird warm werden, wie immer. Der Kili liegt so nah am Äquator, die Vegetationszone zieht sich auf über 3500 Metern, erst heute gelangen wir ins typische Hochgebirge, voller Geröll und grauen Farben, mit weiten Blicken, ohne Schnee. Die Luft fühlt sich frisch gereinigt an, als wäre sie letzte Nacht gewaschen und geschleudert worden. Der Koch hat für uns heute Pancakes gemacht. Ich nehme aber immer Porridge, ist hier mehr eine dicke Milchsuppe, aber da ich kein guter Esser morgens bin für mich ein perfektes Gericht. Dann ziehen wir wieder los.

jac am kili_LI

Langsam. Ich gehe direkt hinter Augustino, Claus folgt mir. In regelmäßigen Abständen liest er vor, wie hoch wir sind. Hoch und höher. Ich spüre mein Herz in den Schläfen pochen, die Beine werden schwerer. Eva gibt mit den Tipp, stets und stetig tief einzuatmen, so viel Sauerstoff wie möglich in den Körper zu lassen. Das hilft sehr. Wir sind langsamer als Schnecken, unser Haus auf dem Rücken ist leicht. Die Gruppe ist leiser geworden, wir haben mit uns zu tun. In den Pausen gehen Nüsse rum und Riegel, ich esse das erste Mal auf dem Trail. Manuel sieht noch immer ein wenig blass aus, aber er geht und geht. Andere klagen über leichte Kopfschmerzen. Mir geht es gut. Fit fühle ich mich aber nicht. Auf dem PCT war ich die letzten 2 Monate eine Hochleistungssportlerin. Wenn es morgens hieß, es geht heute 12 Meilen bergauf, antwortete ich nur: 12 Meilen? Kein Problem. Und dann ging ich los. Froh, frei und federleicht. Jetzt spüre ich die vielen Monate am Rechner, am Set, im Schnitt. Also muss ich ein wenig auf Kampfmodus umstellen. Ich höre meinen Mitstreitern zu, hangle mich an ihren Worten nach oben.

school hut_LI

Dann sind wir auf 4800 Metern, am School Hut. Die Zelte stehen, ich lege mich sofort nieder und schlafe. Ein paar Fleißige, natürlich Eva und David, steigen noch ein paar Meter auf, checken die letzte Etappe zum Kili. Am Abend sitzen wir eng beieinander Es ist kalt hier oben, der Wind weht und es nieselt leicht, dann erste Schneeflocken.

jac auf 4800_LI

Eine Süßkartoffelsuppe wärmt uns. Ich schaue mich um, wie gut man seine Mitstreiter nun schon kennt. Johanna strahlt immer, ich höre ihr Lachen gern. Raluca strahlt von innen, sie ist frisch verliebt. Eva ist immer aufmerksam, schenkt mir Tee ein, heute mit Zucker, sie weiß, ich brauche die Kohlenhydrate. Sie auch, aber sie nimmt immer sehr viel Reis. Claus nimmt immer und immer wieder eine neue Portion auf seinen Teller, Manuel ist noch vorsichtig, Dieter nimmt nie Suppe. Janne erzählt gern von ihrer Zeit an der Rezeption auf einem Kreuzfahrtschiff. Es tut gut, über ihre lieben Stories zu lachen. Sie lenkt sich ab, es geht ihr nicht so gut, was ihre Freundin Ellen Tränen ins Gesicht reibt. Die Haut wird dünner, man fühlt mehr mit den anderen, kann verstehen, warum Tränen laufen, wie flau der Magen sich anfühlt, wie Knochen schmerzen, wie man an Träumen hängt. Man geht direkt darauf zu oder lässt es nicht an sich heran. Ich verstehe jede Entscheidung. Nach dem Essen drehe ich noch eine Runde durch unser Camp. Die Pfützen frieren langsam zu, unsere Zelte stehen über den Wolken. Wir sind von einem flauschigen weißen Band umgeben. Als Kinder sagten wir Teppich dazu und wollten mit diesem fliegen.

david und erwin_LI

Eva und ich kuscheln uns zeitig ins Bett, schon in ein paar Stunden werden wir noch vor Mitternacht aufstehen. Dann ist DER Tag. Unser Gipfeltag.

 

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