Flimmert der Berliner Abendhimmel glühend rot, poste ich: Love my Hometown. Treibt der Sturm den Dreck der Stadt in mein Gesicht, würde ich am liebsten packen. Und diese grummeligen Menschen. Ein Freund meint, ich habe in der Wildnis auf meiner Wanderung von Mexico nach Kanada vergessen, dass diese Grummeligkeit, das Brubbeln, verbale Bellen und auch das Forsche liebenswürdige Merkmale der Berliner sind.
Ich sitze im Taxi, möchte rasch vom Alexanderplatz in die Chodowieckistraße. Zu einer Freundin. Ich spreche die Straße aus, wie es dem Namensgeber ein Lächeln ins Gesicht zaubern würde. Daniel Chodowiecki. Ein polnischer Grafiker und erfolgreicher Kupferstecher. Selbst Goethe ließ seine Bücher von ihm illustrieren.
Fahrer: Wohin wolln Se?
Ich: Bitte in die „Xodowjetzkistraße“.
Fahrer: Wat?
Ich: „Xodowjetzkistraße“.
Fahrer: Jibbet nich.
Ich: Schodowickistraße.
Fahrer: Na man, sagen se did doch gleich.
Und schon braust das Taxi los, mit einem Fahrer, der noch ein paar Sekunden seinen Kopf schüttelt.
Taxi fahre ich nicht oft. Ich laufe viel durch die Stadt, ab und an nehme ich die U-Bahn.
Eberswalder Straße. Die Bahn ist brechend voll. Mit Kindle in der linken und einem Kaffee in der rechten Hand erhasche ich gerade so einen Platz. Freue mich und lese weiter im Leben von Butler Stevens auf Darlington Hall. Als ich einen Schluck Kaffee nehme, lenkt mich mein Gegenüber von Stevens ab. Nein, ich schreibe jetzt nicht schon wieder über einen heißen Typen, der mich in seinen Bann zieht. Zwischen den Morgenmüden thront eine Frau. Sie muss heute früh spät dran gewesen sein oder ist nicht vom eigenen Zuhause gestartet. Seelenruhig macht sie mit ihrer Morgentoilette am öffentlichen Ort weiter. Dafür zaubert sie alles aus einem kleinen Beutel. Ich muss an Hermines Tasche denken. Da ist bestimmt auch ein Zelt drin.
Seelenruhig steckt sie ihre langen Haare hoch, legt Ohrringe an, wickelt sich ein Seidentuch um den Hals, zückt einen Taschenspiegel und schminkt sich die Lippen. Richtig rot. Wir schauen uns direkt an.
Ich: Schöne Farbe.
Sie: Jetzt wäre ein Kaffee toll.
Ich: Einen Becher finden Sie doch sicher auch noch in ihrer Tasche.
Sie: Oh, Moment.
Dann holt sie einen kleinen Pappbecher aus den unergründlichen Tiefen des Stoffteils und hält mir diesen hin. Ich gebe von meinem Kaffee etwas in ihr kleines Gefäß.
Sie: Danke und morgen gern ohne Milch.
Wir lachen und registrieren, dass keiner in der Bahn auf uns reagiert. Wir sind in einer anderen Welt. Ich habe mir angewöhnt, privat Menschen des Monats zu wählen. Meine persönliche Straße der Besten. Vor ein paar Tagen – endlich winterliche Temperaturen in Berlin – ziehe ich mir meine alte orangefarbene SKIMÜTZE auf und stiefle bei leichtem Schneefall durch die Stadt. Herrlich. Zwei Stunden später entscheide ich mich für einen Abstecher in einer Tankstelle, auf einen Tee.
Ich: Hei, N´Abend.
Tankwart: Sag ick och.
Ich: Ich hätte gern einen Tee.
Der Tankwart schaut mich an und kontert: „Und zwei Skistöcke!“
Ich: Sie sind mein Tankwart des Monats.
Wir lachen und ich bekomme einen kostenlosen Tee.

Auf dem PCT habe ich in der Tankstelle auf dem White Pass in Washington eine Frau getroffen, die meine bis dahin vielen Tage auf dem Trail so sehr bewunderte, dass sie mich auf Bier und Chips einlud. So nannte ich sie „Trail Angel“. Stolz knallte sie daraufhin ihre Kreditkarte auf den Verkaufstresen und lud alle anderen Wanderer ebenfalls ein.
Ist die Stadt zu mir so wie ich mich in ihr bewege, sie annehme, respektiere und beeinflusse? Kann sie spannend wie ein Trail in der Wildnis sein? Ja. Das habe ich früher nicht gewusst. Ich sehe. Ich höre. Ich reagiere. Ich wende mich nicht ab. Das schenkt Freude und ich bin keine Heilige. Fragt meinen Sohn.
Gestern am Potsdamer Platz, auf dem unterirdischen Weg von den Arkaden zum Ritz Carlton. Schon von weiten sehe ich ein Paar, beide haben riesige Rollkoffer. Mit einem Stadtplan in der Hand sprechen sie Vorbeieilende an. Die schütteln Kopf oder heben die Schulter und ziehen weiter. Auch ich werde angesprochen. In einem Deutsch-Englisch-Gemisch.
Er: Könnten Sie uns helfen.
Sie: Wir suchen das Marriott, am Beisheim-Platz.
Wie es immer ist, da wohnt man mehr als 30 Jahre in derselben Stadt und kennt sich nicht aus. Für das Paar ist dies kein Problem. Sie haben ja ihre Karte, was mir vielleicht helfen könnte. Ich habe aber keine Brille mit. So halte ich mein Telefon umfunktioniert zur Taschenlampe auf die Karte.
Ich: Was steht da? Hm …. Und was steht da? Hm …. Und da? …. Alles klar. Einmal folgen bitte. Im Geiste muss ich lachen. Wenn ich auf meiner Wanderung nach Kanada müde war, bin ich mechanisch Wanderern gefolgt, im Ohr Lykke Li mit „I follow Rivers“. Wir verlassen das Untergeschoss des Potsdamer Platzes und schon nach ein paar Metern kann ich den beiden Touristen das gesuchte Hotel zeigen. Sie sind happy. Die Frau umarmt mich.
Am selben Abend bin ich in der Saphire Bar. Stammgast Charlotte erzählt, dass sie nicht nur das neue MAGAZIN mit meinem 2. Teil über den PCT gekauft, sondern auch gleich ein Abo abgeschlossen hat.

Charlotte: So ein kleines und feines Heftchen muss man doch unterstützen.
Da umarme ich sie. Und wir stoßen auf die Anderen an. Die unser Herz erwärmen. Die wir, wenn wir sie herzen, glücklich machen. Manchmal reicht da schon ein wenig Flutter Fletti.
Klasse, menschlich, herzlich, witzig….danke. 🙂
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