#Nach dem PCT / Kilometer 2 / Liebeskummer

Wird man von etwas getrennt, erleidet man einen Verlust, hat man Sehnsucht nach etwas sind das Anzeichen für ein gebrochenes Herz. Kurz man hat Liebeskummer.

Ich habe Liebeskummer. Mir fehlt der Trail. Daheim habe ich vergessen, wie anstrengend es oft auf dem PCT für mich war. Wie ich mich vor Schnee und wilden Flüssen gefürchtet habe. Oft fror. Nichts essen konnte. Hier denke ich nur an eine wunderbare Zeit in der Wildnis. Mit Hikern, die alle das gleiche Ziel hatten, sich am gleichen Ort, auf die gleiche Art fortbewegend, befanden. Ein unsichtbares Band hatten wir geknüpft. Unsere Herzen schlugen gleich.

Mein Liebeskummer wird durch die laute, schnelle Welt um mich herum verstärkt. Ich weiss nicht, wie ich die Welt hier anhalten kann. Soll ich RUNTERFAHREN rufen, wenn die Leute hektisch, lustlos und angestrengt ihre Einkaufswagen füllen? Soll ich den Panik-Button drücken, wenn in der vollen Tram alle in ihre Smartphones starren? Vielleicht kommt ja dann Bewegung in die Masse. Ich entdecke, dass ich jetzt öfter tief durchatme und dann nichts sage. Meine Kollegen würden sagen, der Adler kreist nicht mehr und stürzt sich nicht hackend vom Himmel. Das wiederum gefällt mir.

Gegen den Liebeskummer kämpfe ich mit kurzen Auszeiten an. Wandern mit meiner Schwester im Harz. Es ist ein anderes Wandern. Ich sehe sofort, wo sich ein perfekter Schlafplatz befindet. Schaue ich in die Weite erblicke ich mehr als da ist.

wir drei auf hiddensee
Mein Sohn, seine Freundin und ich auf Hiddensee

Mit meinem Sohn und seiner Freundin reiste ich nach Hiddensee. Den jungen Leuten war ich auf dem Hochuferweg ein wenig zu schnell. Das dunkle Herbstmeer legte sich wie Balsam auf meine Seele – kurz. Mit meinen Freundinnen war ich in der Schorfheide. Das Biosphärenreservat ist kleiner geworden, ich bin schneller unterwegs. Doch der einheimische Herbstwald bekam meine Aufmerksamkeit geschenkt. Die nächsten Wandertage sind geplant, es geht zum Wurmberg nach Braunlage.

wandern in der schorfheide
Unterwegs im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin

Daheim trage ich mein Lieblingsmerinoshirt vom Trail. Leider riecht es sauber. Nur der Schlafsack duftet noch nach Washington. Wenn ich nachts nicht schlafen kann lege ich mich wie im Zelt auf den Bauch. Ich müsste es nicht tun, da ich keine Körperschmerzen mehr habe. Ein gebrochenes Herz schmerzt auch. Die Sehnsucht wird zur Sucht. Am häufigsten wurde ich nach dem Trail gefragt, wovor ich Angst hatte. Angst habe ich jetzt hier. Dass ich Konformität wieder in meinen Alltag lasse.

Anderen Mit-Hikern, auch aus meiner Pinky Gang, geht es nicht anders. Mike und Eva sind Serienjunkies. Stefania lässt Sehnsucht nicht zu – wie auch bei ihrer 100-Stunden-Woche im Amazon Warehouse in London. Model Oliver „Giselle“ ist erst gar nicht heim gefahren. Er ist in Kalifornien geblieben – er arbeitet auf einer Farm. Wie auch Markus aus der Schweiz. Ben zeigt seinem Danish Girl „Wreckingball“ seine Heimat Texas. Joe hat es zurück nach Washington DC geschafft, zu seinen Kindern. Kelly Kate setzt sich unermüdlich für PCT-Volontäre ein und kocht weiter für sie. Merissa „Cooper“ drückt die Schulbank, Brooks schleppt sich mit noch immer wunden Füssen ins Büro.

Ich habe zur Heilung Hiker zu einer Silvester-Party nach Berlin eingeladen. Vielleicht serviere ich Ramen, Kartoffelbrei, Nutella, Chips und Bier. Stefania hat zugesagt. Auch Stefanie aus der Schweiz, sie habe ich auf dem OCT kennengelernt. Adam wird aus Wrozlaw anreisen, Jordan aus Washington, Mike aus Dresden. Und Eva und ich sind ja hier. Es wird helfen, zusammen zu sein.

 

 

 

 

6 Gedanken zu “#Nach dem PCT / Kilometer 2 / Liebeskummer

  1. Pläne über Pläne… Zuerst will ich den AT zu Ende gehen, das arbeitet noch in mir. Aber mein Mann liebäugelt tatsächlich mit dem Te Araroa. Wir werden sehen.

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  2. Wow, ganz toller Beitrag! Ich kenne das Gefühl leider auch viel zu gut. Bei mir war das große Loch im Herbst 2015 mein täglicher Begleiter und noch heute muss ich jeden Tag an den AT denken.
    Mach weiter so, dein Blog gefällt mir sehr gut!

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  3. Herje, das schmerzt je selbst beim lesen. Aber ich kann es nach vollziehen, irgendwie, auch ohne diese Erfahrung gemacht zu haben. Vielleicht erzieht so eine Reise einen Menschen zu etwas mehr Demut, zur Einfachheit, zum Ursprünglichen.

    Christine Thürmer hat in ihren Buch sinngemäß geschrieben, das man als Thru Hiker inkompatibel zur Gesellschaft wird. Ich finde dies immer wieder passend und bestätigend, will man nicht mehr der Hamster im Rad sein, dann ist man irgendwie „draussen“, hat „seltsame Ansichten“ oder ähnliches.

    Alles Gute bei der Heilung…

    Viele Grüße
    Bert

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  4. Liebe Jen,
    Bei mir hilft angeln, um die Ruhe zu finden! Mich wundert, dass Du dich vom Verhalten der anderen stressen lässt, auch wenn Du selbst gar nicht unmittelbar betroffen bist. Ich hatte damit gerechnet, dass ihr Hiker nach so einer Erfahrung in eurer Mitte festzementiert seid und quasi alles weglächelt. Viel Glück bei der Suche nach Heilung für Dein fittes gebrochenes Herz!
    Dein Pat

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  5. Hallo Jacky, ja so ist das du Du sprichst mir aus der Seele. Ich war zwar nur 5 Wochen auf dem Camino unterwegs, aber seitdem fühle ich mich von der Schnelllebigkeit und dem hektischen Treiben teilweise überfordert und sehne mich einfach nur nach Ruhe und Natur und Ruhe und eine Handvoll Menschen mit denen man zusammen sein möchte. Genau das ist auch meine Angst vor dem PCT nicht wieder in das alte Leben zurück zu finden. Ich bin sehr umtriebig und suche mir selbst meine kleinen Fluchten – aber ob das hilft…. Ich wünsche Dir auf jeden Fall alles Gute

    Liebe Grüße
    Claudia

    Gefällt 1 Person

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