Tag 151 – Tag 156 / KM 3776 – KM 3949 / PCT-Meile 2462 – 2570 / Von Skykomish nach Stehekin / Die Tage fliegen

Ich bin nun seit 5 Monaten eine Wanderin und auf dem PCT. Ich wiederhole mich, gern, wenn ich hier schreibe, dass ich im Traum nicht daran gedacht habe, so lange durchzuhalten. Am Anfang haben Eva und ich jeden Tag gezählt! Und gestaunt, wow schon 10 Tage auf dem Trail, 11. 12…. Fleissig schneide ich noch immer mein Maßband ab, hebe die Schnipsel auf. Am 10. September, 5 Monate auf dem Trail, sind noch 7 Tage übrig. Die Tage fliegen nur so dahin. Und wir fliegen fit über die Berge.

Am Tag 151 starten wir vom Skiclub in Skykomish gegen 9 Uhr. Keiner ist krank, so geht es gut voran. Mike und ich treffen auf dem Parkplatz einen Dayhiker, er schenkt uns Skittles, sehr leckere süße Bonbons, habe sie vorher nie probiert. Mein Rucksack ist schwer, Essen für fünf Tage muss ich tragen. Leider gab es in der Grocery in Skykomish NICHTS ausser Ramen. So wird es bei mir jetzt mittags und abends Ramen geben, nicht sehr abwechslungsreich. Wir hiken bis zum Pear Lake. Jürgen J. ist schon da. Die Zeltplätze sind jetzt von Tag zu Tag voller. Alle wollen einfach nur noch ankommen, das Ding nach Hause bringen, die Show beenden, den Obelisken berühren. In allen Gesprächen geht es darum. Es beginnt nun auch die Zeit, wo Hiker ‚Weisst Du noch Geschichten‘ erzählen.

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Mutti & Jürgen

Tag 152, es geht gleich früh bergauf, ich starte, Mike folgt. Nach dem Mittagessen führt Mike unseren kleinen Zug an. Am Ende des Tages sind wir wie immer mit Stefanie und Anne und ‚Unicorn‘ auf einem Zeltplatz. ‚Hobo-Max‘ ist uns entwischt, auch Adam. Sie sind einfach zu schnell und wir hiken jetzt schon jeden Tag 23 oder 24 oder 25 Meilen. 40 Kilometer – ich staune noch immer. Am Lake Sally Anne – wunderschön zwischen Felsen gelegen – gibt es Lunch. Richtig: Ramen! Dann zieht Nebel auf. Erst versank Washington im Rauch, nun verdeckt der Nebel Hiker und Landschaft. Wir schlafen auf 6000 Fuss, am Morgen regnet es.

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Lighthouse Anne

Der 153. Tag wird der bisher schlimmste auf dem Trail, vom Wetter her. Es regnet, es stürmt, es hagelt, es ist kalt, es gibt keine Sicht, es ist rutschig. Natürlich rutsche ich einen Hang runter, alles ist voller Dreck, vom Rucksack bis zum Knöchel! Neue blaue Flecke am Oberschenkel. An diesem Abend gebe ich Stefanie mein Zelt, in ihrem würde sie nach Kanada schwimmen. Mike gibt mir ein Platz in seinem Zelt, aber in der Nacht ist er ‚grumpy‘ – ich schnarche, er tippt mich ständig wach.

Das Wetter meint es am nächsten Tag gut mit uns, die Sonne kommt raus, zum 2. Frühstück beginnt das grosse Trocknen auf weissen Felsen inmitten der nördlichen Kaskaden. Für Hiker ein Segen mit trockenen Sachen zurück auf dem Trail zu sein.

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Das große Trocknen nach dem Sturm

Der Weg schlängelt sich an den schroffen Kaskaden vorbei, über Wiesen, die sich langsam herbstlich färben, die ersten Rottöne sind schon zu erahnen. Ich schaue die Landschaft an und mich immer wieder um. Wo bleibt der ‚Ice Dancer‘? Nichts zu sehen von ihm. Ist er schon wieder krank? Dann kommt er endlich. Blaue Hände. Blauen Mund. ‚Diese Huckleberrys lachen mich ständig an. Da muss ich anhalten und naschen.‘ Ich kann die leckeren Beeren leider nicht essen, ich müsste gleich in den Wald rennen. Mein Magen ist immer noch sehr sensibel, der Grad ist schmal zwischen ertragen können und leiden müssen.

Tag 154. Mein Morgen, es geht 8 Meilen bergauf, was ich liebe. Ich starte und sage zu Mike, dass ich nicht zu schnell gehen werde. Nach drei Meilen, kurzer Stopp für Wasser, will Mike wissen, was ich unter nicht schnell gehen verstehe…. Wenig später sagt er, ich solle mich nicht wundern, wenn er nicht mehr hinter mir ist, gerade hat eine Biene ihn vier mal gestochen. Mich stach gestern eine, nur in den Oberschenkel, die Stelle schmerzt. Nach ein paar Minuten hat Mike eine geschwollene Hand und ein dickes Ohr. Natürlich fehlen uns jegliche Medikamente und Hausmittelchen. Meine Mom hat früher immer Zwiebel auf einen Stich gelegt. So ziehen wir also weiter, ab und an werden die schmerzenden Stellen gekühlt. Ich kämpfe mich rasch nach oben – mit der Musikliste meiner Schwester, nur Filmmusik. Irgendwie wird meine Umgebung dadurch noch bizarrer, einzigartiger. Danke Schwesterherz.

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Durch die Cascades Richtung Kanada

Wir lunchen am Cascades Creek, immer wieder passieren Hiker, die wir kennen. Und immer wieder hört man, wie sehr man sich das Ende wünscht, wie sehr alles schmerzt, wie müde man ist. Man will, dass die Tage fliegen. Jeder Tag ist nun lang, immer über 22 Meilen, nur drei Pausen. Der schönen Landschaft werden wir damit nicht gerecht, wir fliegen an ihr vorbei. Es verstärken sich die Gespräche über die kommenden Wochen daheim, die folgende Arbeit, die wartende Familie.

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Selten mal Zeit für die tolle Aussicht

Tag 155. 12. September. DER Tag. Ich sitze auf der Terrasse im einzigen Restaurant von Stehekin – wir haben um 9 mit 28 anderen Hikern ein Shuttle vom Trailhead genommen, welches nach 20 Minuten an der berühmten Bakery mitten im Wald hielt – alle Hiker kaufen Kaffee und riesige Kuchen.

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Hiker warten auf den Bus

Und dann in Stehekin am Lake Chelan hält – und es stoppt erneut ein Shuttle mit Hikern! Und wer steigt aus??? EVA. Wir kriegen uns nicht ein, rufen unsere Namen, jubeln, rennen aufeinander zu und liegen uns minutenlang in den Armen. Da klatschen sogar andere Hiker vor Freude über uns. 103 waren wir getrennt!!!!! Nun hiken wir die letzten 84 Meilen zum Northern Terminus des PCT.

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Reunion!

 

4 Gedanken zu “Tag 151 – Tag 156 / KM 3776 – KM 3949 / PCT-Meile 2462 – 2570 / Von Skykomish nach Stehekin / Die Tage fliegen

  1. Hallo 🙂
    toller Blog & Respekt vor deiner Leistung!
    Kannst du mich eventuell per Mail kontaktieren ? Das wäre super

    Liebe Grüße

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  2. Liebe Jackie,
    auch die letzten Meter bis zu Deinem gesteckten Ziel werden wir aus der Ferne bei Dir sein; und Du wirst es schaffen.
    Hoffentlich brauchst Du für all Deine Erinnerungen im Gepäck kein
    Übergepäck zu zahlen.
    Liebe Grüße
    Birgit & Siegfried

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