Ich war nie besonders mutig, wenn es darum ging als Kind zum Beispiel ins Wasser zu springen. Im Bootshaus meiner Oma Sandy sprang ich dann irgendwann mal vom Steg ins Wasser, um nicht den ganzen Sommer als Schisser zu gelten. Natürlich landete ich auf einer Muschel und musste ins Krankenhaus, um einen tiefen Schnitt an meiner Fusssohle nähen zu lassen. Oft wollte ich mutig sein. Stellte mich in Riesa im Freibad an die Schlange für den Sprungturm an. Als ich oben stand war das Wasser so weit weg, dass ich umkehren wollte. Doch die mutigen Springer hinter mir riefen: Na nun mach schon Kleene. Es wurde ein Bauchklatscher wie er im Buche steht.
Wenn in Urlauben Water Rafting im Angebot war oder zum Erforschen grosse dunkle Höhlen lockten, trank ich lieber Kaffee und schrieb.
Hier in der High Sierra muss ich oft mutig sein, über meinen Schatten springen. Es gibt kein zurück oder ‚Kann ich nicht‘ oder ‚Mach ich nicht‘. Der Trail sagt wohin es geht. Ich kann nicht stehen bleiben oder die Bahn nehmen oder woanders lang gehen. Ich muss durch den Fluss, über den Baumstamm, der die Brücke über das wilde Wasser ist. Oben eine Ridge entlang, eine Traverse, schmale Serpentinen hoch oder runter. Verweilen heisst verhungern. Die Lebensmittel sind abgezählt, ich packe nicht für acht Tage Essen ein, wenn wir für den Weg bis zur nächsten Grocery nur vier Tage rechnen.
Es ist wunderbar zu entdecken, wie man über sich hinauswachsen kann. Aus dem Kind, dass zum Spielen geschickt wurde, weil es immer nur lesen und nicht buddeln oder toben oder klettern wollte, ist eine mutige Wanderin geworden. Ich darf dies hier so schreiben. Als mein Hiker-Idol und Freundin Nadja von ihren Wanderungen in den Alpen erzählte, habe ich immer gesagt: Da würde ich niemals lang gehen. Ich denke jetzt würde ich.
Tag 116, 3. August. Wir verlassen T. Meadow – wir nennen es so, weil wir TOULOMNE nicht richtig aussprechen können – und verabschieden uns von Diane. Trail Magic. Als wir gestern spät am Campground ankamen – der vom Yosemite Valley im hikermodus fahrende Bus hatte es doch noch irgendwie geschafft – kletterte eine Hikerin aus ihrem Zelt und sagte: Na die Stimmen kenne ich doch! Wir hatten Diane auf dem OCT kennengelernt, die Maschinenbaustudentin aus Frankreich. Sie wartet in T. Meadow auf ihren Freund, sie hat sich den Rücken verletzt und muss leider aufhören. Wir umarmen uns fest.
Dann gehts los, der Trail führt direkt ins Meadow, ein Festplatz für Mücken. Mike leidet. Wir sind dadurch schnell und schaffen an diesem Tag über 20 Meilen. Und wir verabschieden uns auch von den JMT Hikern, jetzt gehört der Weg wieder uns. Am Abend campen wir am Matterhorn Creek. Als wir ankommen brennt schon das Lagerfeuer. Zwei Ingenieure waren am Werk – es gibt sogar eine Vorrichtung zum Trocknen von Schuhen und Socken. Die Vier hiken nur den Part vom Sonora Pass nach T. Meadow. Der Tag endet mit Kultur im Wald – wir hören ein Poem über freche Schulkinder und einen langen irischen Song über die Beerdigung von Finnegan – live und mit grossen Gesten vorgetragen.
Mit trockenen Socken und Schuhen gehts am Tag 117 los. Lange bleibt das nicht so – wir müssen mehrmals durch den Wilson Creek. Das heisst: Schuhe aus, Socken aus, Sohlen raus, Schuhe wieder an, durchlaufen. Dann das ganze wieder rückwärts. Meine medizinischen Innensohlen stinken unfassbar störend. Ich rieche sie beim Wandern. Da es berghoch geht – zum Benson Pass – sind die Schuhe meiner Nase näher. Es ist unangenehm. Der Weg zum Pass geht über grosse Steinstufen durch viele Creeks. An einem treffen wir Volontäre, sie räumen den Weg – freiwillig – wir sagen DANKE – und gehe über einen schmalen Baum auf die andere Seite. Ich schaffe das, bin stolz. Als ich den letzten Schritt mache, auf einen nassen Stein, rutsche ich aus und lande hart mit dem rechten Knie auf diesem. Das Knie blutet, schmerzt, ich sehe einen tiefen Riss. ‚Nurse‘ Stefanie holt Desinfektionstücher und ein Pflaster aus ihrem Rucksack. Weiter gehts. Dann treffen wir Caro aus Bonn. Mit ihr waren wir in Nordkalifornien im Lassen Volcanic National Park unterwegs. Sie ist wie immer gut gelaunt, wie immer ihrer Meinung nach zu langsam unterwegs und allein auf dem PCT. Kurzer Plausch über kommende Flüsse und Schneefelder, dann ist sie weg. Sobo unterwegs bis Kennedy Meadow. Dann will sie nach Washington. Wir machen auch weiter und schaffen es noch bis zum Seavey Pass, wo wir ganz allein sind und unsere Zelte aufbauen. Trotz Regen macht Mike ein Lagerfeuer. Ich zwinge mich zu etwas Kartoffelbrei, zwei Pässe an einem Tag sind einfach anstrengend.
Am nächsten Morgen, es ist der 5. August, ist es kalt auf dem Pass, die Sonne lässt sich nicht blicken, die Zelte sind nass. Wir gehen Richtung Kerrick River, ich denke an die verunglückte Asiatin. Der Fluss hat eine starke Strömung, wir beschliessen über den Baum zu queren. Mein ganzer Körper ist angespannt, ich ignoriere das laute Rauschen des Wassers, konzentriere mich auf Gleichgewicht und Schritte und bin drüben. Erst jetzt merke ich wie schnell mein Herz rast, wie das Blut in den Ohren laut klopft. Am Fluss liegen keine Blumen oder so. Ich binde ein Pinkyband an einen Baum.
Als wir lunchen treffen wir Hiker Michael aus Koblenz. Er ist allein unterwegs, in Campo an der Mexican Border am 9. Mai gestartet. Er sagt von sich selbst, dass er sehr langsam ist und geniesst. Er will bis Meile 1100 gehen – ungefähr die Hälfte des PCT – und dann schauen, ob er hier weiter wandert oder zum Indian Sommer nach Canada geht.
Am frühen Abend regnet es erneut, wir campen am Fork River, das Abendbrot fällt kurz aus. Da die Tensite sehr klein ist und Mikes Zelt nah zu meinem steht lese ich ihm meinen ersten PCT-Blog-Eintrag vor. Wir staunen unendlich, es ist sooo lange her. Ich schlafe schlecht, mein Knie schmerzt.
Tag 119. Hiker haben uns erzählt, wenn ihr ins Dorothy Lake Outlet kommt werden Millionen Mücken sich auf euch stürzen. So ist es auch, sie feiern eine regelrechte Party und wir sind die Überraschungsgäste. Frische Ware, gut schmeckend. Es ist Gott sei Dank flach, so rennen wir am See vorbei. Um dann langsamer zu werden, denn zum Lake gehört auch ein Pass. Stefanie checkt im See ihre Matratze, letzte Nacht erwachte sie auf dem Boden und fror jämmerlich. Weiter gehts, mal wieder über Schnee und Flüsse, die nicht in der Karte stehen. Wir lassen den Yosemite National Park hinter uns, nun sind wir im letzten Teil der High Sierra, steigen langsam auf zum Sonora Pass. Die Wildnis ändert sich, die Berge sind kahl und erinnern mit einem schmalen glatten steilen Weg an den Anfang in Mt.Laguna, nur dass wir hier auf 9500 Fuss unser Lager aufschlagen. Mike beschliesst mal wieder Cowboy zu campen.
Am Tag 120 wacht er als Eiszapfen auf, wenig später sehen wir auf dem Weg weiter zum Sonora Pass gefrorene Pfützen. Wir könnten auch auf dem Mond sein, so karg ist die Landschaft. Dann sind wir endlich am Highway, ich bekomme den ersten Wagen und Platz. David betreut Biker aus Strassbourg, sein Auto ist voller Essen fürs BBQ, er fährt hinter ihnen her. Seine Frau ist eine Tibeterin und kommt aus Lhasa, so unterhalten wir und über den Dalai Lama und Jetsun Pema, die seine Frau kennt und die auch ich mal treffen durfte.
Das Kennedy Meadow Resort North ist nicht mit dem KM im Süden zu vergeichen, für Hiker fast nobel und sehr freundlich. Thomas Kennedy kam hier 1802 an und beschloss vorbeikommende Siedler und Reiter und andere Reisende zu versorgen. So ist es auch noch heute. Die Leute mieten Kabinen, gehen reiten, angeln oder wandern. Im Resort stehen 180 Pferde. Viel bewegt wurden sie in dieser Saison noch nicht. Der harte Winter hat für Einbussen gesorgt, die Saison begann acht Wochen später.
Wir beziehen ein Zimmer und stellen wie immer Duschrekorde auf. Dann leiste ich mir ein wunderbares Grilled Cheese Sandwich. Hinterm Haupthaus des Resort stehen alte Stühle – hier treffen sich die Hiker. Es sind wirklich welche da. Ein Vater, der zu seiner Tochter nach South Lake Tahoe wandert. Ein Hiker aus Ashville, North Carolina. Wir unterhalten uns über seine Stadt, ich mag Ashville, von dort sind mein Sohn und ich zu den Blue Ridge Mountains gestartet. Michael aus Koblenz ist auch da und nicht mehr allein, auf dem Trail hat er ‚Amazon‘ getroffen. Trail Romance?
Mike und ich gehen abends in den Saloon auf eine Margarita und schmeissen die Music Box an. Wir lernen Frankie kennen, den Barkeeper. Er ist Rentner. Im Sommer arbeitet er hier als Barkeeper, im Winter gibt er in seiner Heimatstadt in San Louis Opispo, CA, Golfunterricht. Das nenne ich mal ein interessantes Rentnerdasein.
Am nächsten Morgen nach einem Frühstück mit 25 Fire Fighter – es brennt in den Bergen ringsum KM – fährt uns Barkeeper Frankie zum Trail zurück. Natürlich geht es gleich berghoch und die letzten Ausläufer des Sonora Passes haben noch Schnee. Mir kommt eine Dame mit kleinem Rucksack entgegen – sie wandert nur 24 Stunden, aber diese durch. Ich staune, der Pass im Dunkeln ist nicht gerade easy. Doch sie sagt: Wir haben Vollmond!
Tag 122. Ein guter Tag, wir schaffen über 20 Meilen. Und ich finde Päckchen 3. Leider haben zehn Monate in der Erde Spuren hinterlassen, von den Nüssen keine Spur – nur ein Etikett, vom Brief nur ein Eckchen, was sehr traurig ist. Die Nudeln in der Dose sind noch essbar. Und wir treffen drei PCT-Hiker, zwei Jungs und ein Mädel, die von sich behaupten, wahre Thruhiker zu sein. Sie starteten am 18. Mai in Campo umd gehen durch, Jeden Tag mehr als 20 Meilen. Und Tschüssiii weg sind sie. Wahre PCTler – komische Kategorisierung. Wir schütteln den Kopf und kochen weiter – auch zum Mittag.
10. August! Nun bin ich genau 4 Monate auf dem Trail – und fast 2900 km gewandert. Ich kann es nicht fassen. Ich weiss noch genau, wie es am ersten Tag war, wie ich losgestapft bin, Beef Jerkey und M&M’s gegessen habe, den ersten Anstieg schlimm fand und nachts fror. Jetzt steigt die Berggazelle salopp hoch, Essen spielt leider immer noch keine grosse Rolle – in South Lake Tahoe gibt es kostenfreie Pizza für Hiker, Stefanie und Mike reden seit zwei Tagen darüber, welche sie nehmen – Abstiege sind ok, ich schlafe besser. Noch ca. 6 Wochen dann ist die Zeit in der Wildnis vorbei. An diesem Tag überholen wir die ‚wahren‘ Thruhiker. Sie sind nur noch zu zweit, es gab einen Streit, so ist einer ausgestiegen. Und schnell sind sie auch nicht. Also einfach WANDERN und Klappe halten.
Tag 124. Leider falle ich über einen Baumstumpf wieder auf mein bereits lädiertes rechtes Knie, den Daumen prelle ich mir auch. Grosse Pflaster müssen her, es geht weiter, mit Schmerzen. Wird Zeit, dass wir einen Zero Day einlegen, wir hatten keinen mit Start High Sierra, morgen sind wir 28 Tage auf dem Trail, dies ist sehr lang. Ausserdem ist Mike krank, sein Magen spinnt mal wieder und er hat Gleichgewichtsprobleme. Der 185 cm grosse ‚Ice Dancer‘ wiegt nur noch 70 Kilo, Haut und Knochen! Dabei isst er nicht wenig. Die einzige Wanderin, die ich kenne, die auf dem Trail zugenommen hat, ist Stefanie. Wenn ich nicht mehr kann kratzt sie meinen Topf gern aus.
Ich freue mich auf South Lake Tahoe, ich muss meine Knochen schonen. Und dann gehts nach Washington. Eva und die Pinky Gang sind in Oregon, in Ashland. Sie haben noch 900 Meilen vor sich, wir 650!!!!
Ich lese deine Ausführungen mit großer Spannung und Bewunderung. Weiter so, freue mich schon so alles aus erster Hand zu hören. Liebste Grüße Daniel
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