Mal wieder eine schlaflose Nacht, dabei liege ich ganz gut auf einem kleinen Rasenstück auf dem Beach Horse Camp, das Meer hörend, der Highway weit weg. Stefanie und Mike schlafen noch, so lese ich und stehe dann als erste auf, werfe den nassen Schlafsack in die Sonne, der heisse Kaffee tut gut. Da wir nicht immer wissen, wann wir wieder Wasser bekommen trinke ich seit Tagen zu wenig und habe den 4. Morgen Kopfschmerzen. Im nächsten Ort muss ich mir eine Cola kaufen. Erst nach 8 ziehen wir los, 5 Meilen am Highway entlang zu den Sea Lions Caves. Viele Touristen, drei Hiker. Man kann an den Felsen entlang spazieren, sieht aber die Seelöwen nicht sondern nur Videos. Dies sparen wir uns. Vor Florence haben wir morgens unzählige Seelöwen und Robben gesehen.

Wir beschliessen von hier zu einem Waldweg namens Amanda Trail zu trampen, 12 Meilen Highway, mit Tunnel, sind zu gefährlich. Stefanie malt ein Schild, nach fünf Minuten hält eine nette Lady. Sie hat in ihrem alten Autos lauter Traumfänger hängen und spricht über spirituelle Wanderungen. Am Ende umarmt sie uns und küsst unsere Wangen. Der Trail führt durch einen dunkelgrünen Wald, die Stämme sind alle mit Moos tapeziert. An einem Fluss nehmen wir Wasser. Endlich mal wieder gut schmeckend. Das Wasser aus Amerikas Leitungen ist immer voller Chlor. Der Trail endet in Jachats, the Gem of Oregon – ein Schmuckstück des Staates. Direkt an der Küste stehen grosse Holzvillen mit riesigen Fensterfronten. Stefanie und ich landen in einem Seniorenheim mit Meerblick. Wir sichern uns keinen Platz, wir wollen nur aufs Klo. Die Insassen lassen uns nicht gleich wieder weg, sie fragen unseren Rucksack leer. Gefühlt sind wir der kostenlose Vortrag des Tages, die Abwechslung! Im Candy Shop stürzen wir uns dann auf Kaffee, Eis, Shortbread und Fudge. Danach ist uns schlecht. So hiken wir noch bis nach acht abends, Abendbrot fällt bei mir aus.

Am nächsten Tag präsentiert sich Oregon regnerisch. Den ganzen Tag. Wir laufen eine schmale Strasse entlang, bis Waldport und huschen ins Waldport Inn, fragen nach Kaffee. Da keine Motelgäste sich am Tresen tummeln dürfen wir diesen erobern. Kostenlos. Die Dame an der Rezeption will lieber mit uns reden als 5 Dollar kassieren. Wie wunderbar. Dann laufen wir am Meer entlang. Im Wasser stehen unzählige Angler. Stefanie wundert sich darüber: ‚They are completely wet!‘ Es gibt sowas wie Neopren erkläre ich. Stefanie war immer nur in den Bergen. Das Meerleben ist neu für sie, sie staunt über jede Welle, fotografiert Muscheln und Robben, malt Herzen in den Sand. Und sagt: Wie soll ich das daheim nach all dem aushalten? Daheim ist ab Oktober London. Nach ihrem Bachelor in Bauwesen zog sie von Madrid nach Manchester für ein Master in Logistik und mehr. Nun wird sie bei Amazon arbeiten, in einem Warehouse als Operation Manager. Wir gehen an einer Steilküste entlang, das Wasser kommt immer näher. Was, wenn wir hier nicht wegkommen? ‚Da kommt schon was‘, sagt Mike. Was ich gar nicht leiden kann. Nach einer Stunde endlich ein Abgang, ich hatte schon überall Gänsehaut am Körper. Wir finden einen Platz mit Campfire in einem State Park. Frierende Hiker und Biker scharen sich um das Campfire. Stefanie trocknet ihre Schuhe mit Toilettenpapier, meine Trailrunner trocknen schneller als ihre fetten Astronautenschuhe.

Tag 83, weiter Regen. Wir ziehen los, 5 Meilen bis Newport, dann trocknen wir Schlafsäcke und Stefanies Schuhe im Waschsalon und leisten uns ein riesiges Frühstück. Alles aufgegessen, leere Teller – und die Sonne kommt raus. Der Spruch aus der Kindheit bewahrheitet sich. Der Strand füllt sich tatsächlich mit Familien, alle mit grossen Kühlboxen und US-Flaggen, die Feiern zum Independence – Day beginnen. Auch der Campground Beverly Beach State Park ist ausgebucht, überall Flaggen und geschmückte Wohnwagen und Stars – and – Stripes – Tischdecken. Der Feiertag wird ernst genommen.

Mike und ich leisten uns Rotwein zum Abendbrot. Ein Fehler, die ganze Nacht breche ich, bekomme Migräne. Am nächsten Tag kann ich nicht hiken, liege im Schatten, schlafe Stunde um Stunde. Meine beiden Mitstreiter haben Verständnis und machen eine Leuchtturmwanderung. Am Abend ist mir etwas wohler, essen kann ich aber nicht.
Dafür am nächsten Tag mit losziehen, Richtung Lincoln Beach, ein Ort voller Menschen, weil man hier in den Whales Coves das ganze Jahr über Wale entdecken kann, versprechen jedenfalls die Bootsbesitzer, die zu Whale Watching einladen. Ich habe das 2008 im Januar in Morro Bay in Kalifornien gemacht, mit meinem Sohn. Zum Ticket gabs Muffin und Kaffee dazu, für meinen Sohn heisse Schokolade. Dann sind wir raus, es war ein tolles Boot, nicht zu gross und nicht zu klein und sehr sicher wirkend. Die Bootsführer waren dies nur im Winter, im Sommer mit voller Inbrunst Surfer. Ein Fotograph erzählte, wenn er jeden Tag rausfährt, dann hat er ein mal im Monat einen springenden Wal vor seiner Linse. Wir sehen ca. 80 Rücken und auch blasende Grauwale, ein Glückstag sagt der 1. Skipper. Es hat was Majestätisches wenn die langen Rücken langsam durchs Wasser streifen. In Lincoln Beach entdecken wir zwei Wale. Ohne Fernglas und ohne Warten. Im Pirate Cafe gibt es Cafe Latte mit drei Espressi. Dann gehts an den Strand. Der Wind ist frostig, Alaska schickt ihn uns. Wir ziehen gen Norden und gefühlt wird es immer kälter, es hat nur 15 Grad und im Wind sicher noch weniger. Nach 16 Meilen ist Schluss mit Strand und kleiner Strasse. Die nächsten 8 Meilen bis zum Devil Lake Campground in Lincoln City sitzen wir im Auto einer jungen Blondine. Das Auto ist voller Bettzeug. Sie wollte gerade ihren Trailer packen – auch sie zieht mit der Familie zum Independence Day auf einen Campground – da sah sie uns und dachte: Jeden Tag eine gute Tat. Der Platz Biker / Hiker auf dem Campground ist gut gefüllt, wir treffen vier PCT-Hiker wieder, sie waren auch gestern mit uns, aber sie sprechen kaum. Da haben wir uns nicht aufgedrängt. Dafür trafen wir gestern zwei Cousinen aus Michigan, fröhliche Mädchen, gerade fertig mit dem Englisch Studium, die würden wir gern in Washington auf unserem letzten PCT-Abschnitt wiedersehen wollen! Wir lernen den Biker Robert kennen, er hat ein riesiges Zelt, kocht und raucht im Zelt und ist mit diesem ein Jahr unterwegs! Seine Solarlampe im Zelt ist so hell, da kann selbst ich noch mitlesen, in meinem Zelt liegend.

Tag 86, 4. Juli, Feiertag. Zum ersten Mal ist der Strand wirklich voll, Familien mit viel Essen und Spass. Wir haben Glück und können durch einen schönen Wald den Cascade Trail laufen, nach langen Tagen geht es mal wieder richtig bergauf, da denken wir besonders an den PCT. Und dann ist plötzlich Silvester. In Neskowin am Strand – Feuerwerk und unzählige Lagerfeuer. Ich traue mich nicht ins Zelt. Was, wenn es abfackelt? Wie Stefanie sagen würde: We’re fucked!
Mike hat bis Mitternacht Wache gehalten – unsere Zelte haben überlebt. Und ich staune, alle Familien haben ihren Müll mitgenommen. In meiner Nachbarschaft daheim liegt der Volkspark Friedrichshain. Tausende picknicken bei gutem Wetter an den Wochenenden dort. Immer montags ist der Park dann komplett verdreckt, voll mit Wegwerfgrills und Papptellern. Die Familien hier haben sogar die verkohlten Holzstücke wieder eingepackt. Dann kommt Stefanie – mit Kaffee und frischen Donuts. Das werde ich sicher auf dem PCT vermissen. Als ich von der öffentlichen Toilette zurück zum Strand gehen will, spricht mich ein junge Frau an, weil mein Bandana anzeigt, woher ich komme. Peggy Sue, eine Name wie ein Film, träumt vom PCT seit ein paar Jahren. Dass sie überhaupt wandern will, versteht hier keiner. Sie verrät: ‚Ich spreche nicht mehr laut über den PCT, ich gehe einfach nächstes Jahr los.‘ Ja klar mach das, sage ich, aber sag jemanden Bescheid, manchmal benötigt man Hilfe und es gut, wenn jemand weiss, wo du bist.
Mir fällt auf meinem Weg zum Strand zurück der Film ‚127 HOURS‘ ein – eine wahre Geschichte. Aron, ein Bergsteiger aus Boulder, der alle 59 Viertausender in Colorado allein besteigen will, hat in einem Canyon ein Unfall, er klemmt an seinem Arm durch einen herab gestürzten Stein in einer Felsspalte fest. Da er keinem gesagt hat, dass er zu einem Trip aufbricht, wird er nicht vermisst. Er überlebt, weil er sich nach fünf Tagen selbst Elle und Speiche bricht und den Rest mit einem Taschenmesser durchtrennt. Sein unerschütterlicher Überlebensdrang wird von vielen Menschen sehr bewundert.
Wir gehen zum Bus in Neskowin, der soll uns nach Tillamok bringen, wir vermeiden so 20 Meilen Highway heute. Im Bus klingelt mein Phone, Eva is alive! Sie hatte über eine Woche keinen Empfang. Mit der Pinky Gang haben sie den Sonora Pass geschafft und sind nun im Yosemite National Park. 300 Meilen – mehr oder weniger im Schnee. Dies ist sehr zu bewundern. Nun ist sie nach Mammoth Lake getrampt, in der Nässe haben sich ihre Schuhe aufgelöst. Wir hören der Schnee schmilzt, wegen der vollen Flüsse müssen wir dann selbst nach Alternativrouten schauen. Die Hälfte der Pinky Gang – Fielder, Calvin, Ben und Brooks – erholen sich nun. Eva wird weiterziehen, mit Adam, mit Gorgio aus Australien, Mighty Mouse und den beiden Holländern Chris und Ward. Mal sehn, ob wir uns wirklich auf der berühmten Bridge of The Gods treffen, heute am Telefon klang ihr Plan anders, lieber so lange wie möglich zu hiken, den kompletten Trail zu probieren. Ich verstehe das, nach all dem Schnee und mutigen Tagen ist der Traum vom Thruhike grösser denn je. Und Hikerin Eva muss nicht am 1. Oktober in Berlin sein.
Am Abend, nach ein paar Meilen, erreichen wir den Nehalem Bay State Park. Gleich neben uns schlägt eine junge Familie mit zwei kleinen Kindern ihr Zelt auf. Sie sind mit Rädern unterwegs, samt Hausrat und Spielzeug! Eine Auszeit führte die französische Kleinfamilie zuerst nach Neuseeland, da hat es aber zu viel geregnet. Also flogen sie nach Kalifornien und radeln jetzt hier. Die Kids toben rum. Der vierjährige Junge erinnert mich an meinen Sohn. Unermüdlich spielt er mit seinen kleinen Autos, die transportieren Tupperdosen, Klammern, umkurven Bierbüchsen. Als mein Sohn schreiben konnte begann er sofort mit ersten Statistiken – die Autos rasten Rampen herunter, die Zeit wurde gestoppt, notiert und dann alles ausgewertet.
Heute Cowboy Campen wir mal wieder – ohne Feuerwerk und US-Flaggen!
6. Juli – schon gehen 7, keine normale OCT-Wanderzeit, sind wir fertig und starten. Ich habe der französischen Familie noch einen Zettel hingelegt und mit pinkem Nagellack Herzchen gemalt. Heute wandern wir tatsächlich auf dem Oregon Coast Trail, der ausgeschildert ist – von Manzanita zur Falcon Cave und dann Arche Cove bis zum Arch Beach, über 23 Meilen. Ich kann abends nur auf die Matratze fallen und schlafen.
Der Strand am Tag 88 ist wunderschön.
Und Schritt für Schritt wird er voller – wir erreichen Cannon Beach. Der Ort ist ein beliebtes Tagesziel für die Einwohner von Portland, 90 Minuten mit dem Auto und sie sind am Meer. Hier, wo der Beach unendlich breit ist, finden im Juli immer Sandburgweltmeisterschaften statt. Sandkünstler aus der ganzen Welt erschaffen dann riesige Bauwerke vor Tausenden Besuchern. Wir leisten uns mal wieder Fish & Chips – Hiker im 7. Himmel. Dann gehts durch den Ecola State Park. Ein steiler Trail führt zum Ecola Summit, weiter zum Indian Beach und endet in Seaside. Hier spricht uns ein Radfahrer an, unsere Wanderstory kann er kaum glauben. Jedes zweite Wort von ihm ist INCREDIBLE. Zu uns gesellen sich drei Mädels, sie sehen topfit aus, sie rennen den OCT. Mit kleinen Rucksäcken, nur für Wasser, Riegel, Telefon, Sonnencreme und einen Schlafsack. Das ist dann wohl das nächste Level. Nun sage ich ständig INCREDIBLE.
Unser Schlafplatz liegt mitten im Ort, zwischen vom Meer verwaschenen Baumstämmen, hoffentlich schläft der Dorfpolizist bereits. 8. Juli und wir haben den Oregon Coast Trail geschafft, über 460 Meilen! Astoria ist das Ende, natürlich gibt es hier kein Monument wie am Ende des PCT. 21 Tage waren wir hier. Ich bin froh über diese Entscheidung. Weiterhin. Ich bin gewandert!