#11 Ich bin en vogue

Ich bin en vogue, denn ich wandere. So wie 35 das neue 50 ist, ist Wandern so hipp wie einst Surfen. Wandern geht immer, ich muss nicht auf den Wind warten, ich gehe einfach los.

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Im Frühjahr 2016 beschlossen meine PCT-Partnerin Eva und ich am Berliner Mammutmarsch teilzunehmen. 100 km in 24 Stunden. Von Erkner nach Gusow im brandenburgischen Oderbruch. Wir zahlten 40 Euro – für die Organisation und Versorgungspunkte. Kostenlose Vorbereitungsrunden inklusive.

Aber zuerst marschierten wir allein los. 24 km zum Bootshaus meiner Eltern. Die waren nicht da, der Nachbar hatte zum Glück einen Schlüssel. Wir plünderten den Kühlschrank, verschlangen Bockwürste und Kartoffelsalat. Nächstes Training: 36 km von Zeuthen nach Berlin-Schöneweide. Die letzten Kilometer liefen bei mir nicht so rund – die Socken rutschten und ich war müde. Die Nacht zuvor mit Kollegen bei einem Kreativmeeting in Zeuthen war zu kurz und zu feucht gewesen! Aber ich trottete der forschen Eva fleißig nach.

Dann der nächste Meilenstein – 40 km! Mauerwegrunde, vom Norden Berlins bis zum Potsdamer Platz. Zum Ende hin ging ich im Tiergarten fast verloren – es wurde langsam dunkel und ich müde. Aber junge Leute aus der Trainigsgruppe nahmen mich in ihre Mitte und zogen die MUTTI erfolgreich bis zum Sony-Center. Da strahlte ich noch tapfer fürs Abschlußfoto. Als alle weg waren, schleppte ich mich im Schneckentempo bis zum 200er Bus. Beim Einsteigen wollte ich den Fahrer fast um Hilfe bitten.

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Dann kam der große Tag des Mammutmarsches. Mein Sohn hatte eine Whatsapp-Gruppe gegründet, für Updates und eventuelle Notsituationen: Girls, ich hole Euch ab, egal wo ihr seid – aber es wird ja nicht mitten in der Nacht sein ….

Über 2000 Leute in zig Startgruppen gingen los. Da staunten die Veranstalter nicht schlecht – vor einem Jahr waren es noch 800. Eva und ich rollten mit den Augen – wie die alle losrannten. In der Ausflugsgaststätte „Rübezahl“ am Müggelsee sahen wir Teilnehmer mit Bier sich zuprosten, andere verputzen Pommes und Currywurst. Und wie dünn viele angezogen waren – klar wir hatten Mai, aber nachts sollten nicht mehr als 9 Grad werden. Eva und ich freuten uns über Hiker, die wir in Pausen immer wieder trafen. Wir tauschten Riegel und Nudelsalat. Unser Highlight war heisses Wasser in der Thermoskanne. Dies nutzen wir für mitgeschleppten 5-Minuten-Kartoffelbrei. Herrlich.

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Der erste Versorgungspunkt war bei Kilometer 16 im Strandbad Rahnsdorf. Kalter Wind verkürzte unsere Pause. Und langsam wurde es Nacht. Die 100 km sind so aufgeteilt, dass in der ersten Hälfte die Nacht liegt, wo man noch fit ist und die Stolpergefahr geringer. Mich nervten die vielen weichen Wege. Märkischer Sand, ich ging wie auf Eiern. Aber Eva zog mich. Immer öfter überholten wir junge Leute in kurzen Hosen, die froren, die uns nach Tee fragten. Eva begann ihre Peptalks: Na schau, die sind 20 jahre jünger und du hängst sie ab. Das half. Bis schlimme Feldwege kamen, wo es nur so staubte.

Ich sehnte den nächsten Versorgungspunkt herbei. Der lag in Bruchmühle, 50 km. Ich meckerte: Eva, du hast gesagt, es ist nicht mehr weit! Eva, warum ist hier kein Klo? Eva, der Weg ist doch Scheisse. Dann sahen wir viel Licht, blaues Licht.

Ausnahmezustand in Bruchmühle. Am Versorgungspunkt, eine Art Sportlerheim, lagen zig Teilnehmer eingehüllt in Rettungsdecken auf dem Boden. Es gab keine freie Liegen mehr. Helfer und Sanitäter kamen mit Untersuchungen und Teekochen nicht mehr hinterher. Viele Mammutläufer hatten sich überschätzt, froren nun, erlagen ihren Kreislaufproblemen. Es war 4 Uhr morgens und die Veranstalter brachen das Event ab. Sie konnten die Versorgung nicht mehr garantieren. Ein Sanitäter erklärte uns: Wenn sie jetzt weiterlaufen und es passiert etwas, gibt es keine medizinische Hilfe. 4 Uhr morgens – wie sage ich das meinem Sohn? Eva rief ihn an. Keine 30 Minuten später war er da. Zu Fuß den letzten Kilometer. Wegen des regen Verkehrs von Krankenwagen war die Straße gesperrt. Mein Sohn bekam sich nicht mehr ein: Was denn hier los? Warum liegen die hier alle rum? Bürgerkriegsähnliche Zustände? Nein, nur Wanderer, die sich überschätzt hatten.

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Ich war froh, im Mini zu sitzen und um 6 in der heißen Badewanne liegen zu dürfen.

Es ist eben nicht einfach, en vogue zu sein.

Eva und ich werden es auf dem PCT langsam angehen – ohne Kartoffelbrei und Blaulicht. Und mit Hikern! Darauf freuen wir uns.

Danke für die Unterstützung!

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