Wenn ich wandere, bin ich ein anderer Mensch und meistens an einem Ort, wo die Welt verblasst. Normales nicht existiert. Die Tage länger sind. Ich intensiver atme. Ich mich mehr spüre. Ich nie wieder zurück will.
Vor genau 12 Monaten saß ich zum Jahreswechsel in meiner Wohnung über Berlin und musste konstatieren, dass alte Muster meinen Alltag schon wieder anfingen zu sichern. 2018 war ich acht Monate nicht daheim, aber nicht wandern, nur arbeiten. Was 2019 auf keinen Fall erneut so laufen konnte.
Genuss und Anders sein sollten wieder Highlights in meinem Leben werden.
Genuss gehört zu den positiven Sinnesempfindungen. Wenn wir geniessen, empfinden wir körperliches und geistiges Wohlbehagen. Wir freuen uns über gutes Essen, über ein tolles Buch und Musik, die zum Mitsingen verleitet. Anders zu sein, bedeutet Mut zu haben. Denn wer anders ist, weicht von der Norm ab. Die Gesellschaft kann mit Ablehnung reagieren. Da der Mensch jedoch ein soziales Wesen ist und „Teil der Clique“ sein will, fällt der gewünschte Individualismus oft schwer. Oscar Wilde sagt: Sei du selbst, denn alle Anderen gibt es schon. Anders zu sein, heisst, sich vom Diktat der Masse zu befreien und stattdessen zu erspüren, was nötig ist, um glücklich zu sein. Kurz zusammengefaßt, ich wollte 2019 geniessend mutig sein. Keine einfache Aufgabe. Dachte ich. Durch meine 160 Tage in der Wildnis auf dem Pacific Crest Trail im Jahr 2017, fand ich schneller als gedacht, meine Auszeiten, andere Aufregungen und Mut, anders zu sein.
Ich bestieg den Kilimanjaro, überquerte die Alpen, schnitt meine Haare ab und wurde Vegetarier. Und verliebte mich!
In meinen Enkel. Best QUALITY TIME 2019. Obwohl er immer noch OPI statt OMI zu mir sagt. Aber Namen sind Schall und Rauch. Wichtiger kann eine heiße Dusche sein. So heiß, dass Kummer verbrennt. Anfang des Jahres produzierte meine Gasheizung viel heißes Wasser. Ich trauerte um meine liebste Freundin. Eine Todesnachricht ereilte mich nicht, nur die Info, dass sie in ihrem nun angestrebten neuen Leben mit mir nichts mehr zu tun haben möchte. Sie wäre ohne mich besser dran und glücklicher. Und ich konnte nichts machen. Nichts sagen. Nichts klären. Nichts ansprechen. Ich sollte mit Verständnis reagieren, sie ziehen lassen und eines Tages darüber lächeln. Nach 30 Jahren! Mülleimer auf. Die komplette Zeit rein. Deckel zu. Und schmunzeln? Mir fehlt es eigentlich nie an Worten. Doch ich wurde eines Besseren belehrt. Sprachlosigkeit traf Ratlosigkeit traf Enttäuschung traf Herzschmerz traf Trauer. Als mir dann auch noch der Kontakt zu meinen Patenkindern untersagt wurde, reichte das heiße Duschwasser als Trost nicht mehr aus. Nach Trauer kommt Wut? Ich warte noch. Auf die Wut. Auf das Vergessen. Und baute eine Brücke zum Genuss: Neue Schuhe gleich im Laden anziehen. Meine Nichte mit zum Wandern nehmen. Mit meinen Puppengirls feiern. Es sind oft die ganz einfachen Sachen, die für Wohlbehagen sorgen: Eine Urlaubskarte von Freunden zwischen all der Werbung im Postkasten ist. Ein eiskalter Gimlet nach einem langen Arbeitstag. Ein Spaziergang auf dem Hochuferweg zum Hiddenseer Dornbusch. Ein Wochenendtrip nach Riga, mit viel Essen und Wein und intensiven Gesprächen, mit meinen Coyoten. Ein Sonnenuntergang am Meer, mit meiner Familie: Wir tanzen und trinken Champagner.
Ich bin bereits ANDERS, wenn ich mich an Arbeitszeiten halte, vor Mitternacht ins Bett gehe, regelmäßig jogge und mehr an mich denke. Der Haken hinter dieser Aufzählung ist 2019 dünn, aber es gibt ihn. Anders sein entwickelte sich 2019 zu GRÜN SEIN. Mein Chef genehmigte Friday-for-Future-Teilnahmen. Mein Sohn stellt auf Ökostrom um. Und ich verbanne Verpacktes aus dem Bad. Back to Seife für Körper und Kopf. Vom Wandern kenne ich das ja schon, aber jetzt auch im Alltag.
Nun sitze ich auf Hiddensee. Das Jahr 2020 ist ein paar Stunden alt. Ich schaue aufs wilde blauschwarze Meer. Direkt von der Ferienwohnung aus. Wie wunderbar! Lieben Dank, Frau Feuer! ( www.instagram.de/hiddensee.ferienwohnung.feuer) Und lege fest:
Gelassenheit und Freude sollen 2020 meine Wegbegleiter sein. Mehr durch den Alltag tanzen. Junge Kollegen fördern. Wandernd Schottland und Nepal erobern. Auf mein Herz hören. Und ab und an einen Ort aufsuchen, wo die Welt verblasst.
Alpen überquert!

Enkel mit meiner Mütze
OMG! Ich bin so dankbar! Es ist wie es ist! Das Leben fragt uns nicht und bereitet uns nicht vor – aber dann, weil wir sind wir wir am Ende sind, gibt es Menschen wie Du, und die sind am stillen Ort wie ein Polarlicht! Ich liebe es! Und packe dies in meinen Rucksack! XoXo
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Liebes, ich dusche mit Dir gemeinsam, wenn das hilft! Ich will immer da sein, wo es gut für Dich ist. Mio Knutscher, Majon
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Liebe Jen, bei Dir zu bleiben, ist immer der richtige Weg, wie ich dir bereits 2017 schrieb, als Du nicht über die verschneiten Pässe des PCT gegangen bist. Es kann für dich nicht falsch sein, Du zu sein, aber alles hat seinen Preis, wie Du erfahren musstest.
Ich kann nach fast 20 Jahren sagen, dass der Verlust, dass Beste war, was mir passieren konnte. Denn dadurch war Platz für die Dinge, die bis zum Tod mein Herz mit nie versiegender Liebe füllen. Selbiges wünsche ich dir von Herzen, bleibe weiter bei Dir und auf Deinem Weg. HNY Pat
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das bessere ich auf dem trail zu sein!!! ja!!!! und es gibt ja die die wir immer haben!!!! alles liebe meine liebe
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Meine Liebe,
Ich fühle mit dir – in den guten wie in den schlechten Passagen deines Beitrags. Dass man beim Wandern den großartigen Abstand zu Welt und Alltag hat, kenne ich bestens. Ich sage immer, beim Wandern bin ich die beste Version meines selbst. Und ich versuche, seit ich 2016 damit begonnen habe, dieses bessere, weil leichtere, freudigere Selbst in mein „normales Leben“ zu retten. Das gelingt mal besser mal schlechter.
Was deine Veränderungen im Privatleben anbelangt, ist das alles andere als erfreulich. Dusch so heiß du kannst. Und schau nach vorn – 2020 wird eins von den Guten!
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