Die Sterne stehen hoch über dem Pitztal und wir lachen die halbe Nacht in unseren kuschligen Betten in der Gletscherstube.


Ich weiß nicht mehr, worüber wir uns nicht einkriegen. Fakt ist, alle haben lieber Bauchmuskelweh vom Lachen, als Knieschmerzen oder Blasen vom Wandern. Es ist wie im Kinderferienlager. Wir sollen schlafen, haben früher die Erzieher gesagt. Bei uns heute die Vernunft. Aber wir hören nicht auf sie. Wir lieben uns als Gruppe. Also lachen wir, erzählen uns Geschichten, haben keine Grenzen. So wie sich unsere Wanderseele mit dem Trail verbindet, knüpfen wir als Gruppe ein unsichtbares, aber festes Band. Für mich ist das die Metaebene des Wanderns.

So war es oft auch auf dem Pacific Crest Trail. Plötzlich ließ eine Story eines Mitwanderers deine eigenen Belange in einem anderen Licht erscheinen. Eine heiße Dusche war besser als der teuerste Spa Deutschlands. Eine Tüte Chips ein Sterne-Menü. Ich glaube, dass ich deswegen immer wieder losziehe. Ja klar, das Wandern, die Natur, die Ruhe, die Möglichkeit, des Alleinseins. Das Wissen, dich und deine Knochen so intensiv wie nie zu spüren. All das ist nicht zu verachten. Aber die eigene innere Umkehr, der Mut zur verdrehten Betrachtung, die ständige Reduzierung des gewohnten Seins, die Wahrnehmung des anderen Ichs sind zusammen die Essenz, das Konzentrat, wovon ich abhängig bin.
Tag 5
Es ist noch dunkel draußen, aber in der Gletscherstube wird bereits Kaffee gebrüht. Die Lunchpakete hat jeder eingepackt. Zum Kauen ist es noch zu früh. Wir denken an die Braunschweiger Hütte. Sie ist unser erstes Tagesziel heute. Sie liegt „nur“ 3 km entfernt. Aber es geht von 1800 Metern auf 2800 Metern über den Meeresspiegel. Zum ersten Mal haben wir unser Gepäck etwas umverteilt. Das Meiste landet so in der Materialseilbahn der Braunschweiger Hütte. Wir bewegen uns leichter nach oben. Vor allem Fotograf Fabian. Er kann gar nicht fassen, wie angenehm es ist, mit leichtem Gepäck unterwegs zu sein. Vielleicht lässt er ja nun doch die Waschtasche und den gemütlichen Strickpullover beim nächsten Mal daheim.

Der Weg führt erst an der Pitz entlang und dann immer am Wasserfall hoch. Ein schmaler Klettersteig. Steile Felsabsätze sind stahlverseilt. Trittsicherheit ist gefordert. Es weht ein kalter Wind, wir warten sehnsüchtig auf die ersten Sonnenstrahlen.

Seit Start unserer Alpenüberquerung ist das Wetter auf unserer Seite. Wir sind Glückspilze. Am Tag hat es immer über 20 Grad. Kurze Hose ganz klar für mich, auch schon am Morgen. Da schütteln die anderen den Kopf. Egal, nach 10 Minuten Anstieg schwitzen alle.
Wir sind gut unterwegs und erreichen nach 2,5 Stunden die Braunschweiger Hütte. Wie immer sind alle Wanderer des E5 bereits weg. Die Terrasse gehört uns allein und sie liegt bereits in der Sonne.

Jetzt lassen wir uns die Brote der Gletscherstube schmecken. Dabei schauen wir zum Pitztaler Jöchl. Es gehört schon zu den Ötztaler Alpen. Das Jöchl gilt als einer der anspruchsvollsten Passagen des E5. Der Quergang ist stahlverseilt, der Hang ist sehr ausgewaschen und wir sehen Schnee. Bereits kurz nachdem wir auf dem Weg zum Jöchl sind, kommen uns zwei Mädels entgegen. Sie sind umgekehrt, zu viel Schnee auf der anderen Seite. Wir gehen weiter. Wir sind eine starke Gruppe. Wir werden das schon meistern. Am Arsch wird die Ente fett.
Der Blick vom Jöchl ist grandiös, die Meter danach Horror. Ich verkrampfe. Schnee und steiler Abhang – wie immer nicht meins. Aber Mike hält mich am Rucksack fest, Eva gibt Schrittanweisungen, so schaffe ich es. Wie gut, dass die beiden PCT-Hiker mich so gut kennen. Auf dem PCT habe ich oft gesagt, dass ich das und das nicht schaffe und umkehre. Die beiden haben dies stets ignoriert und am Ende bin ich 4200 km in 160 Tagen von Mexico nach Kanada gegangen.

So weit ist es heute nicht. Vom Jöchl sind es noch 16 km bis nach Vent. Erst durch Schnee und dann über Geröll geht es Stunden steil bergab bis zum Parkplatz unterhalb des Rettenbachgletschers.

Wir sehen Leute im Schnee, auf Skiern in kurzen Hosen. Ein Typ trägt die braune Uniform von UPS. Ich verbringe hier meine Mittagspause, sagt er. Was, wenn er verunglückt, frage ich ihn. Der sportliche Typ zuckt mit den Schultern. Für ihn ein Schmarrn, er steht seit seinem 4. Lebensjahr auf den Brettern, die in Österreich oft die Welt bedeuten. Dein Wort in Gottes Ohr, denke ich. Verpetzen werde ich ihn nicht.
Zeit also auch für eine Pause für uns. In der Sonne, obwohl alle einen Sonnenbrand haben. Richtig feuerrot ist Adam. Ich leiste mir ein riesiges Stück Streuselkuchen. Um ehrlich zu sein, ich hätte noch ein zweites essen können.

Dann queren wir mit dem Bus den Rosi-Mittermaier-Tunnel, Europas höchster Straßentunnel. Wir lassen die Gletscher der Ötztaler Alpen hinter uns und wandern stets bergab, über Almwiesen und kleine Flüsse nach Vent.

Ein langer, harter Tag. Wie gut, dass Barbara uns in ihrer Frühstückspension mit sehr guter Laune und gemütlichen Zwei-Bett-Zimmer erwartet. Natürlich trinkt sie mit uns einen Zirbi, was besonders Fabian freut. Welche Zeit haben wir? Zirbi-Zeit. Barbara trinkt und erzählt. Sie hat 1991 die Frühstückspension von ihren Eltern übernommen. Und obwohl das Haus nun schon in 3. Generation in Vent geführt wird, gilt ihre Familie noch als zugereist. Die Alteingesessenen bleiben meist unter sich. Vent ist ein kleines Bergsteigerdorf. Es liegt auf 1.900 m Höhe und hat sich seinen charmanten Charakter über Jahrhunderte bewahrt. Soviel Ursprünglichkeit lässt die Herzen von Wanderern und Schneesportlern höher schlagen, die unberührte Natur, winterliche Ruhe und unverbaute Bergflanken schätzen. Doch die Gäste sind anspruchsvoller geworden. Sie buchen sich Zimmer in einer Frühstückspension, so Barbara weiter, aber rechnen mit einem Spa. Bei den Preisen? Da kann Barbara oft nur den Kopf schütteln. Deshalb freut sie sich über uns Wanderer. Weil wir uns über eine heiße Dusche, ein Bett und einen Zirbi mit Barbara freuen.
Leicht schwankend geht’s in ein Restaurant um die Ecke. Auf der Karte gibt es ALLES: Pizza, Nudeln, Schweinsbraten, Schnitzel und Kaiserschmarrn. Ich glaube, auf unserem Tisch landet auch alles. Wie gut, dass wir zu Barbara nur kurz den Berg hinunterrollen müssen.
Im Zimmer gibt es einen Fernseher. An der Wand. Direkt über unseren Betten. Meine Nichte Ella und ich suchen nicht mal nach der Fernbedienung.
Alle Alpen-Fotos von: https://www.instagram.com/fabsoutdoors/
vielen dank ich hoffe es auch😀
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Dass du dich immer wieder neuen Herausforderungen stellst, ist bewundernswert. Hoffentlich hält deine Wander- und Schreiblust noch lange an. Freue mich über deine Berichte.
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