#2019 / Kilometer 12 / Party, nein danke oder wie ich über die Alpen ging (Teil 4)

Wichtelmänner sind über Nacht in unserem Zimmer gewesen. Sie haben die Tür offen und unsere gewaschenen Sachen dagelassen. Die frischen Sachen fühlen sich gut an und verkleiden den Körperschmerz nach dem gestrigen harten Abstieg. Die Stufen zum Frühstücksraum kommen mir doppelt hoch vor. Der Tag heute wird unsere Achillessehne werden.

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Blick auf Zams
Tag 4
22 Kilometer liegen vor uns. Mit der Seilbahn geht es aus dem Inntal heraus hoch zur Bergstation Krahberg. Auf 2208 m. In der Bahn mit uns ist eine Schulklasse, die Kinder freuen sich auf die Bobbahn. Oben dann jedoch viele Tränen. Die Mädchen und Jungen sind nicht über 135 cm groß, sie dürfen nicht mit der Bobbahn hinabsausen. Also wandern! In dem Alter sorgt das Wort mit W für lange Gesichter. Allein wenn meine Eltern früher nur spazieren gehen wollten, habe ich schon gestöhnt. Ich, meines Zeichens Stubenhocker, wollte lieber daheim bleiben und lesen und schreiben. Heute stapfe ich in jeden Outdoorladen, teste neusten Hikerkram und bin an freien Tagen die Frau mit dem Rucksack auf dem Rücken.
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Los gehts!
Unsere Gruppe teilt sich. Einige gehen über den Gipfelgrat des Venet, die anderen bevorzugen den etwas leichteren Panoramaweg. Der Blick auf die umliegenden Gebirge ist großartig. Am Hang treffen wir eine Pflückerfamilie. Drei Generationen. In ihren Körben landen Preiselbeeren. Die Uroma Magda nennt sie Moosbeeren. Sie macht Marmelade aus den kleinen roten Kugeln. Die Beste weit und breit, sagt Magda. Sie sollte sie mit diesem Namen verkaufen. Die meisten in Deutschland erhältlichen Preiselbeeren kommen tiefgefroren aus Kanada.
Wir pausieren in einer Alm mit eigener Sennerei. Natürlich bestellen wir den hauseigenen Käse.
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Wanderer können immer essen.
Fabian bestellt das interessanteste Gedeck: Latte Macchiato  und Zirbenschnaps. Letzteres schmeckt nach Sauna. Fabian liebt das Gebräu aus Zirbelkiefer. Deshalb heisst es ständig: Welche Zeit ist? Zirbizeit!
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Fabians favorite Couple
Und dann geht es wieder bergab. Nach Wenns. Dort warten wir auf den Postbus am einzigen Vier-Sterne-Hotel des Ortes. Das Personal ist nett, wir dürfen die Toilette benutzen. Ich lese: Heute SPA-Tag. 50 Prozent auf Massage und Kosmetik. Klingt verführerisch. Aber das Pitztal wartet auf uns. Und, da der Bus auf sich warten lässt, steigen wir in ein Taxi. Für 10 Euro von jedem, spielt der Fahrer Vettel und rast in Rekordzeit zum Ende des Pitztals.
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Gletscherfrei wandern zum Ende des Pitztals
Noch vor 100 Jahren endet hier Tirols zweitgrösster Gletscher, der Mittelbergferner. Geblieben sind ein Fluss, die Pitz und die Gletscherstube. Unser heutiges Nachtquartier.
Wir geniessen in der Sonne Johannesbeerschorle.
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Jeden Abend wird gelüftet
Erst dann wird geduscht und sich aufgehübscht für das Abendessen. Heisst: Jogginghose und eventuell kämen.  Ich quatsche mit Toni. Ihm gehört Tirols größte Hubschrauberagentur. Im Sommer fliegen seine Helikopter nur ein Drittel der Wintereinsätze. „Mittlerweile sind die Skifahrer alle gut versichert. Immer öfter bestehen Verletzte auf einen fliegenden Abtransport.“ Toni hat in der weißen Jahreszeit  15 Rotorflugzeuge im Einsatz. Er selbst fliegt nicht mehr. Er koordiniert nur noch. Aber nicht heute. Heute gibt es Zirbenschnaps. Prost. Aber noch immer ohne mich. Ich gönne mir zwei Rotweingläser und einen Kaiserschmarrn. Dann ziehen Pferde an der Gletscherstube vorbei. Gefolgt von Kühen. Ohne Hund und Hirte.
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Gern selbstständig unterwegs
Träume ich, frage ich den Gletscherwirt, der gerade in sein Auto steigen will. Hier ist alles echt, sagt er. Der Wirt hat uns Brote für morgen früh in den Kühlschrank gelegt. Wenn ihr aufsteht, liege ich noch neben meiner Frau, sagt er und verabschiedet sich.  Wir acht Wanderer sind komplett allein in der Gletscherstube. Wir könnten den Tresen stürmen, so richtig Party machen. Aber unsere Betten sind Magnetfelder. Und wir kein Gegenpol.
(Fotos von Fabian Wiktor: http://www.instagram.de/fabsoutdoors)

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