Ich habe den Pacific Crest Trail verlassen. Um weiter zu wandern. Wir haben es zwei Wochen versucht. Mit Schnee. Mit Schneesturm. Mit vollen Flüssen. Mit Minusgraden. Immer wieder neu irgendwo einzusteigen, um dann zurück zu gehen, hat meiner Wanderlust zwar nicht geschadet, aber oft war mehr Angst als Freude über den Trail im Spiel. Und keiner von uns, weder Mike, Stefanie noch ich haben je eine Minute darüber nachgedacht, einen Flug zu buchen, um heimzukehren. Hike your own Hike. Also basteln wir uns nun einen eigenen PCT. Unser Trail macht dann jetzt mal einen Bogen zum Pacific und heisst nun Oregon Coast Trail.

Mitte Juli werden wir in die High Sierra zurückkehren. Über 400 Meilen am Meer liegen vor uns. Natürlich kann man den Trail nicht mit dem PCT vergleichen. Wir sind nun nicht länger in der Wildnis, wir müssen unser Essen nicht vor Bären schützen und können jederzeit irgendwo einen Kaffee trinken. Aber wir wandern. Wir Cowboy Campen, wir werfen weiterhin unseren Kocher an, für Ramen und Kartoffelbrei. Lustig ist, dass ich vor zwei Jahren mit meinem Sohn und mit Joao und Felice hier am Meer war. Nur, dass wir nach Süden reisten mit dem Auto und ich jetzt Richtung Norden wandere.
Gestern, am Tag 67, haben wir uns von Joe aus Portland verabschieden müssen, er wollte nicht hier wandern, das kennt er alles. Er ist nach Ashland gefahren und versucht es dort weiter auf dem PCT. Pass auf Dich auf ‚Grumpy Skirt‘. Von Eva und der Pinky Gang habe ich seitdem sie Bishop verlassen haben nix gehört. Ich hoffe es geht allen gut.
Wir sind 5 Stunden mit dem Bus nach Crescent City gefahren. Im Greyhound sassen nur wir drei, ein Hiker aus Belgien, Patrick (Wir haben uns vor Big Bear Lake auf dem Trail zum ersten Mal getroffen.) und zwei Ladys, eine aus Medford und eine aus Las Vegas. Die Reise fühlte sich wir eine Family Tour an, fröhliches Geplapper. Etwas verrückt war die Busfahrerin, sie fuhr wir ein Henker, schnauzte jeden anderen Autofahrer an, hupte ständig und hielt gefühlt an jedem zweiten Parkplatz an um zu rauchen.

Nach 19 Uhr, komplett am Fahrplan vorbei, kamen wir in Crescent City an, im Nebel mit Regen. Deshalb ab ins billigste Hotel, Patrick nehmen wir natürlich mit, zu viert ist ein Zimmer eben billiger. Der Belgier ist 52, hat vor dem PCT seine Firma verkauft und will im Herbst nach Budapest auswandern, dort wohnt seine Freundin. Im nahen Mexikaner, der 10jährige Sohn des Hauses bedient uns und ist dabei sehr neugierig, geniessen wir Hühnersuppe und Taco Salad. Danach tutet uns das Nebelhorn in den Schlaf. Ein ungewohntes Geräusch – ja, wir sind am Meer.

Tag 68, 16. Juni! Es regnet. So sitzen wir noch ein wenig im örtlichen Starbucks, laden Wanderkarten herunter. Dann gehts los, leider zuerst 13 Meilen am Highway entlang. Meine Füsse brennen, auf Teer zu laufen ist anstrengender als im tiefen Sand der Mojave Wüste. In Smith River pausieren wir, Mike und Stefanie schmeissen ihrer Kocher an und essen Nudeln. Patrick beisst herzhaft in eine riesige Salami. Ich kaufe mir einen Kaffee. Dann sehen wir einen Hiker, der seinen Rucksack vor sich in einem Buggy schiebt. Bist du so auf dem PCT gewesen? Wir hören ein lachendes Nein. Saywer kommt aus Ontario, Kanada. Da ist er vor 10 Monaten losgegangen. und war bereits in 18 Staaten per Fuss unterwegs. Kalifornien ist nun sein letztes Reiseziel, nach fast 3000 Meilen wird er in San Francisco aufhören. Begonnen hat alles auf einer Party daheim. Ein Joke. Ein Freund sagte, ich wette 20 Dollar, dass Du es nicht schaffst besagte Strecke per Fuss zu bewältigen. Ein paar Wochen später ist Saywer losgezogen. Was machst Du mit Deinem Gewinn? Der verrückte Buggyschieber will sich davon ein Bier und ein grosses Steak kaufen. Ich spendiere ihm einen Kaffee, dann zieht er winkend weiter. Auch wir machen los und erreichen nach weiteren 11 Meilen die Grenze zu Oregon. Erst später am Abend realisiere ich, dass ich nun über 1500 km gelaufen bin. Wahnsinn.

Wir campieren in den Dünen des Crissy Field State Park, das Meer ist lauter als ein dicht befahrener Highway. In den Sand schreibe ich PINKY GANG und PCT. Dann gibt es zum Sonnenuntergang mal wieder Kartoffelbrei und Wasser. Als ich schon fest eingekuschelt in meinem Schlafsack liege ruft Stefanie: Jackie! I have to go! To a hospital … Sie hat sich gleich nach der Grenze im ersten Weed Shop ein paar Hasch Cookies gekauft. Ich gebe ihr Wasser, decke sie zu und lege mich neben sie. Na das wird ne Nacht. Und ich habe mir nicht mal ein Bier zum sepiafarbenen Sonnenuntergang geleistet.

Am 17. Juni – ich wünsche von hier aus meiner Nichte einen schönen Abiball, sie hat ein Superzeugnis hingelegt. Nun wird sie erst mal im Sommer auf unsere Lieblingsinsel Hiddensee reisen und im Wieseneck kellnern. Wir schlafen lange. Herrlich ist es in den Dünen, da sind nur wir. Ich geniesse meinen Kaffee und schaue aufs Meer – wenn man den Finger ins Wasser steckt ist man mit der ganzen Welt verbunden. Gegen 8 ziehen wir los, den Old Oceanview Drive entlang, vorbei an wirklich gepflegten Häusern. In einigen Briefkästen steckt noch die Samstagzeitung. Diese, Kaffee und Meerblick – auch nicht schlecht. Dann hält ein junger Mann und fragt, ob er uns nach Brookings mitnehmen soll. Ganz lieb, aber wir sind Hiker!
Im Hafen von Brookings, es riecht unfassbar extrem nach Fisch, leisten wir uns Omelett und Orangensaft. Dann müssen wir leider wieder am Highway entlang, durch die gesamte Stadt. Brookings präsentiert sich wie viele amerikanische Städte. Eine kleine Innenstadt an der immer gleichnamigen Main Street – hier überwiegen Geschäfte mit Antikem. Dann kommen die Groceries, die Apotheken und Frisörläden. In einem verschwindet Stefanie, sie versucht seit Quincy einen 5minütigen Termin mit der Haarschneidemaschine zu bekommen. Heute klappt es, sie ist happy. Sie hatte früh noch vorgeschlagen, dass Mike ihr mit meiner Nagelschere die Haare schneidet. Da meinte aber Patrick, sie sollten dann beide lieber vorher erneut Weedkekse essen! Da hatte Stefanie nach ihrer berauschenden Nacht dankend abgelehnt.
Nun folgen Möbelläden, dann die Systemgastronomie und dann die typischen Motels: Pacific Sun Inn, Econo Lodge, Travel Suites. Die einzige Bushaltestelle folgt. Eine Frau spricht mich an und fragt wohin es geht. Ich sage ihr woher ich komme! Maggie ist begeistert. Sie hat an diesem Wochenende das Haus voller Freundinnen und bietet mir eine Unterkunft an! Vielen Dank, aber ich muss und will weiter. Danach sind wir auf der Strasse nicht allein. Immer im Abschnitt von ein paar Minuten kommen uns Läufer entgegen. Natürlich wird fleissig gewunken. Es ist ein 200-Meilen-Charity-Staffellauf. Wir sehen andere Läufer im Bus, die auf ihren Einsatz warten. Ich glaube beim olympischen Fackellauf macht man dies auch so. Es gibt in meiner Wohnung ein Foto auf dem meine Schwester mit der olympischen Fackel für Peking zu sehen ist.
Dann gehts endlich in den Wald, auf einen schmalen Trail. Wir sehen Fussabdrücke. Diese müssen von Tabea und Julia sein. Die beiden Lehrerinnen aus Braunschweig sind hier vor drei Tagen lang. Ja auch sie haben den Schnee hinter sich gelassen. Gegen 19 Uhr schlagen wir in einem State Park – nicht erlaubt – direkt oben am Rondell mit bestem Blick unser Lager auf. Mein Couscous schmeckt mir nicht. Nach 30 km auf oft hartem Boden bin ich fertig. Der Sonnenuntergang muss heute ohne meine Beobachtung klar kommen.
Am Tag 70 habe ich weiterhin nichts von Eva gehört, sie wollte mit der Pinky Gang Richtung Mammoth Lake. Dafür erfahre ich, dass Köchin Katie Kate, die den Trail für eine Pause verlassen hat, beim Kochen für Hiker in einer Küche auf einer Erdbeere ausgerutscht ist und sich den Knöchel gebrochen hat. Das kann man gar nicht glauben. Da schafft sie es im hohen Schnee auf den Forester Pass und nun das. Die Arme. Wir schicken ihr ganz liebe Grüsse.

Gegen 7:30 Uhr ziehen wir los, bevor doch noch ein Park Ranger uns entdeckt. Der Coastal Trail schlengelt sich durch einen sehr dunklen Zauberwald, ich will fast Ausschau nach Hänsel und Gretel halten. Nach zwei Stunden rasten wir kurz – ich schaue Mike an und fordere ihn auf, etwas zu essen. Wir sind ausser der Woche zwischen Big Bear Lake und Wrightwood jeden Tag gemeinsam auf dem Trail gewesen. Da kennt man sich und ich sehe, wenn er blass um die Nase ist. Ein Zeichen, dass sein Magen mal wieder spinnt. Oder: Wenn er dasteht und um sich schaut sage ich sofort: Was suchst Du? Er klopft dann seine gefühlt 40 Hosentaschen ab! Wenn wir starten wollen nach eine Pause sage ich jetzt schon immer 5 Minuten vorher: Es geht los. Denn Mike sucht garantiert noch seinen Hut oder die Sonnencreme oder holt doch noch Wasser. Dann schauen Stefanie und ich uns an und lachen. Naja einfach hat er es mit uns sicherlich auch nicht.

Es geht steil bergauf und steil bergab. Dabei machen wir wie auf dem PCT keine Höhenmeter, aber 30 Meter hoch so steil, dass meine Nase fast den Trail berührt, können anstrengend sein. Als der Trail wieder auf den Highway führt sehen wir das Whalehead Resort. Wir klopfen an und der Besitzer freut sich über vier PCT-Hiker, die weit weg von daheim sind. So gibt es den Kaffee umsonst. Er erzählt, dass hier gleich auf dem Trail eine Bank kommt zu der er mit seiner Frau immer zum Sonnenuntergang geht. Eine halbe Stunde später laufen wir an der Bank vorbei. Sie steht hoch über den hier sehr ausgewaschenen Trail, ohne Leiter kann man das grüne Sitzteil niemals erreichen. Der Resortbesitzer muss schon lange mehr keinen romantischen Sonnenuntergang erlebt haben.
Eine andere Art von Romantik kommt uns Minuten später entgegen. Ein Mann und eine Frau kommen aus dem Wald. Beide steigen in eigene Autos, er zündet sich eine Zigarette in seinem Wagen an, sie dreht in ihrem das Fenster runter, lacht ihn an. Ich blicke mich um, beide biegen auf dem Highway in jeweils unterschiedliche Richtungen ab. Ein Quickie statt Lunch – warum nicht! Es geht weiter durch den sehr grünen Wald, direkt bis zum Strand. China Beach, ich glaube der heisst so weil die Felsen im Wasser wie die berühmten Drachenberge aussehen. Es bietet sich eine Pause an, wir sind auch hier die einzigen am Strand, wie weitere Stunden im Wald. Doch dann kurz vor einem Aussichtspunkt, Arch Rock, treffen wir eine Famiie, alt und jung und alle in kurzen pinkfarbenen Shorts! Na wenn dies kein gutes Zeichen ist.
Ab nachmittags müssen wir wieder am Highway lang, sieben Meilen bis zum Pistol River. Der harte Boden ist nicht gut – für Füsse und Knie. Die schmerzen nach 90 Minuten, ich lenke mich mit einem Hörbuch ab. Dann schleichen wir uns in den Pistol State Park, auch besser so, der Wind frischt auf und ich habe Angst auf einer Motorhaube zu landen. Wir kuscheln uns eng an kleine Kiefern umd hoffen, dass der Wind mit der Sonne verschwindet. Ich bin müde, pflege nur noch meine brennenden Füsse und gehe ohne Abendessen in den Schlafsack. Vielleicht mache ich mir morgen früh als erstes Ramen.
19. Juni – wir erwachen eingehüllt von dickem schweren Nebel. Mein Schlafsack ist nass, zum Glück nur aussen. Hoffentlich ist die Sonne später ein guter Trockner. Nach zwei Meilen am Highway entlang führt der Trail direkt auf den Strand. Der ist gut begehbar. Auf dem Sand und im Wasser stehen Felsen, ich denke gleich an eine Filmkulisse. Ab und an müssen wir einen Fluss queren, der vom Land in den Ozean fällt. Aber hier ist es nur ein Schritt, da denken wir an den PCT. Dann endet der Strandtrail direkt an einem Felsen. Wo weiter? Mike zeigt auf ein Seil und nach oben. Ich stöhne. Wie soll ich das meistern? Mit Rucksack! Mike, der schon Wandererfahrungen in den Alpen gesammelt hat, sagt: Los, schaffste, halt Dich gut fest! Als ich den ersten Schritt machen will ruft Mike: Den anderen Fuss zuerst! OK. Und dann hangle ich mich wirklich nach oben. Mike von unten: Na siehste, wie eine Bergziege! Sorry, wie eine Berggazelle! Na, das wäre auch ein netter Trailname! Dann sind wir wieder im dunklen Küstenwald, es geht 45 min steil bergauf, ich höre Patrick hinter mir stöhnen. Im noch immer dichten Nebel kochen wir an einem Aussichtspunkt Ramen. Nette Besucher bieten uns Wasser an! Dann gehts zwei Meilen wieder runter Richtung Strand, der Wald wird zum Dschungel, man sieht kaum den Weg. Patrick sagt, wenn ein Mann in Lendenschutz vor uns steht haben wir uns verlaufen. So muss der Inka Trail sein. Erst hier merkt man, was die Karthographen, Erbauer und alle Volontäre mit dem PCT als wunderbaren Trail geschaffen haben.

Dann endlich Meer und Sonne. Wir trocknen unsere Schlafsäcke und schauen, wo wir heute nächtigen können. Noch sieben Meilen bis Gold Beach, das schaffen wir. Stefanie ruft in der Ireland Rustic Lodge an und reserviert das billigste Zimmer. Sie sagt, dass wir Hiker sind und noch mindestens zwei Stunden wandern. Ich glaube die Dame am Telefon denkt an einen Aprilscherz. Dann werfe ich mich in den Wind, ziehe meine Mütze auf und höre ein neues Hörbuch. Der Sand ist tief, mein linker Fuss schmerzt. Dabei hatte ich meinen Fersensporn fast vergessen. Mist! Ich richte meinen Blick nach vorn und versuche, den Schmerz zu ignorieren. Rückenwind wäre jetzt toll, aber wir gehen Richtung Norden und werden immer Wind von vorn haben. Jetzt verstehe ich, warum alle Biker, die wir sehen, nach Süden radeln.
Dann endlich Gold Beach – Campgrounds nur für Wohnwagen, direkt am Meer, Oma und Opa Nante würden sich freün. An der Tankstelle gibt es laut Schild das kälteste Bier der Stadt, das Gold Beach Inn hat das schnellste WLan und unsere Lodge das beste Frühstück. Die Dame an der Rezeption staunt nicht schlecht als wir eintreten. Sie hat wirklich Hiker vor sich, die gerade vom Strand kommen. Sie gibt uns ihr grösstes Zimmer, mit Küche. Und sie verrät uns den Pin der Laundry vom benachbarten RV-Park. ‚Dann müsst ihr nicht noch ne Meile zum Waschsalon gehen.‘ Sie ist unser Trail Angel. Über den Titel freut sie sich.
Mike und Stefanie kaufen Essen für die nächsten Wandertage und Sandwiches. Patrick will lieber ins Restaurant. Wir entscheiden uns für unsere kleine Terrasse, mit Bier (0,3l), welches ich von der Tankstelle hole. Es ist wirklich eiskalt, die Hände kleben an der Flasche fest. Mike nennt das Bier wegen der Grösse Gurgelflitzer. Wie bitte? Naja ein Schluck und es ist weg. Ich bin nach einer Stunde auch weg vom Fenster und schnarche sicher!

Klingt super ihr drei!! Pinky Gang wünscht euch ganz viel Spaß und hoffentlich sehen wir uns dann an der Oregon- Washington Grenze. Machen uns jetzt auf nach South Lake Taho. :*
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