#2019 / Kilometer 14 / Verlass den Typen oder wie ich über die Alpen ging (letzter Teil)

Die Nacht in Vent soll nicht aufhören. Ein 2-Bett-Zimmer. Ein rauschender Fluss vor dem Fenster. Ein schönes Kopfkissen. Und … kein Sex. Nur meine Nichte, die so weit weg ist, als wären Schlaftabletten im Zirbi gewesen. Dass aber würde unsere Pensionsmutter Barbara nie zulassen. Die Gutste ist natürlich schon auf den Beinen. Und das flotter als Wir. Die Tage in den Alpen haben ihre Spuren hinterlassen. Treppen gehen wir als hätten wir keine Knie. Zu Kaffee, Ei und Brötchen gibt es an diesem Morgen wenige Worte. Wir wissen, welche Anstiege auf uns warten. Darum haushalten wir schon jetzt mit unseren Kräften.

… auf nach Meran.

Tag 6

Von Vent geht es heute zuerst zur Martin-Busch-Hütte (2501 m). Der Weg schlängelt sich stetig bergauf, wandert sich aber leicht, ist nie schmal oder abschüssig. Wir verlassen das Venter Tal und damit auch über 4000 Schafe, die sich morgen auf den Weg nach Hause machen. Sie kommen alle aus dem Schnalsertal. Jedes Jahr werden sie im Frühsommer über den Alpenhochkamm am Hochjoch (2857 m) ins Tal nach Vent getrieben, wo die Almböden reicher sind. Wie wir gehen sie über Schneefelder, überwinden Eisrinnen und schmale Wege. Seit Jahrhunderten machen dies die Tiroler so. Es ist eine Tradition. Wird die Wanderung auf dem E5 zu einer festen Touristenattraktion werden? Für uns alle jedenfalls wird sie zu den besten Tagen in 2019 gehören.

… die letzte große Alpenhütte.

Auf der Martin-Busch-Hütte sitzen wir in der Sonne, mit kalten Schorlen und guter Laune. Es ist der letzte Tag. Heute werden wir in Italien ankommen, uns auf jeden Fall Pizza und Spaghetti gönnen. Daran denken wir schon jetzt. Um uns herum nur fröhliche Gesichter. Ralf aus Wien spricht uns an. Wo ward ihr die letzten Tage, will er wissen. Wir haben ihn kurz in Oberstdorf gesehen. Vor 6 Tagen. Aber auch er ist immer von einer großen Hütte zur nächsten gewandert, fror in Notlagern und musste sich an zu viele Wanderer auf dem Weg gewöhnen. Was er gemacht hat. Ich bin losgegangen und habe es durchgezogen, sagt Ralf. Er lobt unsere Planung, aber gefallen hat ihm seine Wanderung am Ende trotzdem. So soll es sein. Und weil er sich, wie er sagt, endlich überhaupt aufgemacht hat, konnte er sich so erleben, wie nie zuvor.

Das bietet uns das Leben.

Möglichkeiten. 

Abzweigungen. 

Chancen. 

Neues.

Verrückte Angebote.

Manchmal erkennt man am Start den Sieger. Manchmal auch nicht. Als ich mich vor zwei Jahren übergewichtig auf meinen Weg von Mexico nach Kanada machte, ging es doch nicht darum, dass ich wirklich in Kanada ankomme. Es ging darum, dass ich überhaupt losgegangen bin. Kein Wenn und Aber. Keine persönlich aufgestellten Warnschilder. Macht etwas Außergewöhnliches aus Eurem Leben, sagt Lehrer John Keating in „Club der toten Dichter“.

… im Schnee zur Similaunhütte.

Von der Martin-Busch-Hütte geht es über 4 Kilometer lang weiter bergauf zur Similaunhütte (3019 m). Fleißige können einen Abstecher zur Ötzi-Fundstelle machen. Achtung, der Ötzi liegt da nicht mehr. Man kann ihn sich in Bozen im Museum anschauen.

Ich biege nicht ab und gehe auf eine Wandergruppe zu. Was gibt es hier zu sehen? Schneefelder? Ein Gletschersee? Auf einem Stein sitzt eine junge Frau. Carmen. Sie hat sich verletzt. Am Knie. Die Kniescheibe hängt an vier Bändern. Es ist nicht zu lokalisieren, welches Band Carmen sich verletzt hat. Außerdem hat ihr Freund sie bereits mit mehreren Ibus versorgt. Da schmerzt fast der Magen mehr als das Knie. Ich helfe, tape das Knie, für mehr Halt. Der Freund, Typ unfreundlicher, genervter Leistungssportler, will weiter. Wie weiter? Na, nach oben. Ruft den Hubschrauber, sage ich. Ich schaue Carmen an. Sie stimmt mir zu. Aber wie gesagt ihr Typ will weiter. Ich lasse ihr meine letzten Bumix-Haribos da, verbunden mit der Bitte, die Rettung zu rufen. Dann gehe ich weiter. Als ich mich umschaue, sehe ich den sportlichen Freund wie er weiter obergenervt auf und abläuft, mit großen Gesten.

Ich hole Eva und Ami ein. Meine Nichte ist weit vorn. Sie ist voller Glückshormone. Der letzte Tag ihrer ersten großen Wanderung. Und dann gleich die Alpen! Kein Wunder, dass sie heute über den Trail fliegt. Auch Adam und Maggy sind heute flink. Und Fabian knipst und knipst.

… immer wieder schön.

Ja und dann sind wir oben. Hier strahlen alle um die Wette und verdrücken riesige Speisen, mit fantastischem Blick auf den Gletscher Niederjochferner.

Ich will gerade starten, da sehe ich Carmen. Du hast es geschafft, sage ich. Und jetzt? Ihr Freund will weiter. Doch Carmen kann nicht mehr. Sie fragt den Wirt, ob sie mit der Materialseilbahn nach unten kann. Der schaut sie nur kurz an und greift zum Telefonhörer. Der Freund verlässt wortlos die Hütte. Ich wünsche Carmen alles Gute, umarme sie und flüstere ihr ins Ohr: Verlass, den Typen. Der geht gar nicht!

Auf dem Weg nach unten sehen Mike und ich den Hubschrauber. Der nimmt nur Carmen mit, denn wenig später überholt uns ihr Noch-Typ, wie ich hoffe. Natürlich sehr schnell und grußlos. Wie schön, dass die meisten Wanderer nicht so sind. Als ich im Januar auf dem Kilimanjaro war, traf ich auch Verletzte und Höhenkranke. Man hat sich geholfen, warmen Tee geteilt oder einfach nur eine Umarmung.

… wie wunderbar.

Von der Similaunhütte beginnt der Abstieg über 1400 Meter bergab nach Vernagt. Der Weg ist erst schmal und an manchen Stellen stahlverseilt, dann aber öffnet er sich, man sieht den Vernagt-Stausee und geht über Serpentinen bis ins Tisental zur Einkehr Tisenhof. Hier sieht man zuerst das Schild: GESCHAFFT. Wir liegen uns in den Armen. Alpen überquert. BÄM! Es könnte nicht schöner sein. Vergessen die Anstiege, die erste kalte Nacht, harte Matratzen und schmerzende Knie. Wir sind in Italien. Gesund und munter und stolz und glücklich. Zwei Stunden sitzen wir in der Sonne, mit Bier und bestem Panoramablick. Dann geht’s mit dem Taxi nach Meran. Auch diese Nacht in einem Hostel werde ich noch überstehen.

In Meran hat es 30 Grad. Leider feiern die Meraner gerade Oktoberfest. Überall Bierbänke und Tische mit weiß-blauen Decken. Weißwurst und Maß. Und laute Menschen. Nach langem Suchen haben wir dann doch noch Glück. Sitzen unter Lichterketten, mit italienischem Essen. Ich frage in die Runde: Und HOCH und TIEF der Alpenüberquerung. Adam stöhnt. Er hat es auf dem PCT gehasst, wenn ich das gefragt habe. Was sollte er sagen? Was wurde von ihm erwartet? Wir haben uns über seine Anspannung immer lustig gemacht. 

An diesem Abend muss er nichts sagen. Seine Freundin Maggy findet herzzerreisende Worte: Das war die schönste Woche in meinem Leben.

DAS BESTE TEAM

BESTE AMI
BESTE EVA
BESTES COUPLE MAGGY UND ADAM
BESTER MIKE
BESTER FABI
… BESTE ELLA
… ICH WILL WIEDER LOS.

FOTOS: http://www.instagram.de/fabsoutdoors

7 Gedanken zu “#2019 / Kilometer 14 / Verlass den Typen oder wie ich über die Alpen ging (letzter Teil)

  1. mel, die welt ist wirklich klein, berlin-wilmington, und zurück, hab mal einen roadtrip gemacht durch die südstaaten, dann bis north carolina, die outerbanks und wilmington, ich fands wunderbar, ich hoffe euch geht es gut, so gute news kommen ja nicht aus usa bei uns an, passt auf dich auf

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  2. Dit is ja lustig. Bin ueber Louisa’s Blog und deinen Kommentar dort, auf deinem Blog gelandet und sehe grad, dass deine Lieblingsstadt Wilmington ist. Wir sind vor etwas mehr als vier Jahren von meinem geliebten Berlin nach Wilmington gezogen. So klein ist die Welt.
    Liebste Gruesse
    Mel

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Danke für die Unterstützung!