John Denver schläft nicht im Berggasthof Hermine. Dafür 12 Holländer. Die halbe Nacht singen sie immer wieder seinen berühmten Song TAKE ME HOME, COUNTRY ROADS. John will einfach nur nach Hause, an den Ort „wo man hingehört und aus dessen Bergen man stammt.“ Das gefällt mir an dem Song. Auch wir sind froh in den Bergen zu sein. Ich erinnere mich an einen Road Trip mit meinem Sohn durch den Süden der USA. Wir waren auf dem Blue Ridge Parkway und ich ließ Johns Song in unserem Auto erklingen. Mein Sohn, der das Lied nicht kannte, war sehr angetan: „Mom, da sind wir genau. Mom wie krass.“
Irgendwann schlafe ich ein. Am nächsten Morgen treffe ich die Holländer beim Frühstück. Sofort stimme ich den Hit der vergangenen Nacht laut an. Alle Lachen. Ich bin keine gute Sängerin.

Tag 3
Wir starten früh. Es geht zur Memminger Hütte. Auf 2242 Metern. Wir sind frisch. Die ersten Höhenmeter fallen uns leicht. Alle mit uns in Oberstdorf gestarteten Wanderer sind gestern Abend bereits zur Memminger Hütte gekraxelt. Ich ziehe imaginär meinen Hut . Weil sie noch am späten Nachmittag diese schweren sechs Kilometer bewältigen, um sich dann dicht an dicht auf Notplätzen bei Temperaturen um null Grad zu legen. Wir sind acht und wir bleiben allein. Wir gehen durch das Parseiertal, der Nadelwald lichtet sich. Alles ist noch ganz jungfräulich, wir sind die ersten, die hier Morgenluft einatmen. An der Materialseilbahn für die Memminger Hütte queren wir den Parseierbach. Und dann gehts bergauf und bergauf und bergauf. Es geht über große Felsenstufen bis zum Hochtal vor der Hütte. Hier treffen sich drei berühmte Fernwanderwege. Unser E5. Der E4. Europas längster Fernwanderweg – wenn er mal fertig ist, wird er eine Länge von über 10 000 Kilometern haben. Man soll dann vom südwestlichsten Punkt Portugals bis zum südöstlichten Punkt auf der Insel Zypern „durchwandern“ können. Der dritte Weg im Bunde ist der Adlerweg. Er ist Tirols bekanntester Fernwanderweg und führt über 24 Tagesetappen einmal komplett durch Nordtirol.

Eva und Ami sind die ersten auf der Memminger Hütte. Dann bin ich oben, dann Ella. Starkes Frauenteam. Fabian, mit dem schwersten Gepäck, betritt als letzter die Sonnenterrasse, ordert Kaffee und Radler und lädt zum Fotoshooting ein.

Unermüdlich die jungen Dinger. Ich bin 33 Jahre älter als die Jüngste in unserer Gruppe.
In der Memminger Hütte selbst ist es still. Der Typ hinterm Tresen erzählt, dass alle Notplätze gefüllt waren letzte Nacht. Auch wenn ich 12 Holländer im Ohr hatte, ich hätte nicht tauschen wollen.
Wir blicken auf den Seekogel, geniessen die warmen Sonnenstrahlen und ziehen weiter. Die Alpen gehören uns und ein paar Murmeltieren, die im herrlichen Wiesenkessel ihre Lieder pfeifen.

Wahrscheinlich preisen sie die drei Seewieseen an, sie liegen im Herzen der Lechtaler Alpen.

Dann wird der Weg schmal und sehr steil, kurz vor der Seescharte auf 2600 Metern treffen wir auf eine Stahlseilsicherung, sie hilft uns über einen steilen Felsabsatz. Ich rede nicht, was bei mir selten vorkommt. Ich schaue nur die Wand an, halte mich am Seil fest und blicke nicht nach rechts. Und dann geht es durch ein enges Schlupfloch zwischen zwei Felstürmen. Ein perfektes Panorama lässt die Strapazen von eben vergessen. Das Inntal liegt direkt vor uns. Jetzt beginnt der lange Abstieg über gut 1800 Höhenmetern bis nach Zams.

Es gibt Momente, wo ich mich frage, was an diesem ständigen Auf- und Absteigen so toll ist. Wenn ich nach Luft schnappe, das Herz rast und mein Körper stinkt, ist wandern doch nicht schön?! Dann sehe ich Ella, die die Arme beim Anblick der Alpen nach oben wirft. Adam und Maggy, die ständig um die Wette strahlen. Mike, der sich auf das nächste Radler freut. Eva, die schon wieder ein Lied anstimmen muss. Und Ami, die mit einstimmt. Ich spüre, wie die Anstrengung Freude schenkt. Oben zu stehen, mit kalten Händen vom Stahlseil, führt mir immer wieder vor Augen, dass das Wandern mein Leben gerettet hat. Aus dem Workaholic ist ein Naturfreak geworden.

Es geht bergab und bergab und bergab. Die Knie beginnen zu schmerzen. An manchen Stellen ist der Abstieg so steil, dass man fast auf dem Bauch runterrutschen muss, sich dabei erneut an Seilen festhält. Es hilft hier, ein Workaholic gewesen zu sein. Ich habe zig Musiksendungen produziert. Ein Schlager nach dem anderen fällt mir ein. Wir singen uns den Abhang hinunter. Note für Note. 17 JAHR BLONDES HAAR, CELLO, ATEMLOS.
Ich komme als letzte in Zams an. Eva erwartet mich mit einer kalten Schokomilch. Neben amerikanischen BBQ-Chips, gibt es nach einem langen Wandertag nichts besseres. Auf dem Pacific Crest Trail waren dies meine Wunderheiler am Abend.
Der Fahrer von der Skihütte Zams holt uns ab. Er rast dem Abgrund gefährlich nah nach oben. Von der Seescharte bin ich heute nicht gefallen, aber jetzt …. Nicht an den Abgrund denken. Gespräche über heisses Wasser und gutes Essen lenken uns ab.

Und dann läuft alles wie in einem perfekten Film mit Happy End ab. Unsere Wohnung für 8 ist toll, das Wasser wirklich heiß und es reicht für alle. Es gibt herrliche Käsespätzle, einen kostenlosen Waschservice und für jeden ein kuschliges Bett. Es ist wie in den guten Zeiten bei den WALTONS: Gute Nacht Johnboy! Doch leider knarrt die Tür. Ein Windhauch streift mich. Wer stört denn hier?

gern und immer
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Sehr schön, danke, dass du uns mitnimmst….
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