Tag 106 – Tag 111 / KM 2351 – KM 2535 / PCT-Meile 790 – 905 / Von Bishop nach Mammoth Lake / Into thin Air

Ich mag Jon Krakauer. Der Amerikaner ist Bergsteiger und Autor. In Vorbereitung auf den PCT habe ich alle seine Tatsachenberichte und Bücher gelesen. Jetzt in der High Sierra denke ich oft an sein Buch ‚Into thin Air‘. Es geht um eine geführte Besteigung des Mt. Everest im Jahr 1996. Zwei Expeditionen geraten oben am Gipfel in ein Unwetter und acht Bergsteiger sterben. Jon war mit auf dem Peak, kehrte rechtzeitig um und schaffte den Abstieg. Sehe ich jetzt den Schnee und gehe ich jetzt ab und an über Schneefelder bin ich sehr froh, dass es Eva und der Pinky Gang gut geht. Auch in Bishop sagt man uns erneut, dass weiterhin Vorsicht geboten ist. Seit zwei Wochen wird eine Hikerin vermisst. Am Glen Pass wurde sie noch gesehen. Leider war Rika Morita allein unterwegs. Wie froh bin ich über den Zusammenhalt unserer Little Gang.

Als wir Bishop verlassen hören wir von Rangern, dass sie zwischen Glen und Bishop Pass einen leblosen Körper gefunden haben.

Tag 106. Wir hatten es gut in Bishop. Ich nahm die längste Dusche der Welt – und habe sogar den Rucksack gewaschen.
Im Hostel California waren ein paar JMT Hiker und Wanderer des PCT. Lange sprach ich mit Alex. Er wurde in Kiew geboren. Als er vier war starb seine Mutter und er kam durch eine Adoption in die Staaten, nach Idaho. Als Teenager lernte er seine Schwester kennen, die in der Ukraine geblieben war. Alex fühlt sich heimatlos, jetzt auf dem PCT hat er beschlossen, endlich nach Kiew zu reisen. ‚Wie bisher kann ich nicht weitermachen, ich muss zurück zu meinen Wurzeln, ich muss eine Heimat finden‘ sagt er. Alex freut sich über meine Russisch-Kenntnisse. Wir unterhalten uns über die Klitschkos und ich erzähle ihm von meiner Reise mit Wladimir nach Tschernobyl.

Von Bishop aus wählen wir die lange Piute Pass Route über Sabrina Lake, North Lake und Piute Pass zum Trail zurück, umgehen so den noch immer mit Schneefeldern bedeckten Glen Pass und machen trotzdem Meilen, mehr sogar. Mittagessen auf dem Pass, es gibt Kartoffelbrei und zwei gekochte Eier. Luxus. Stefanie erzählt ein liebe Freundin aus Kindertagen ist gerade auf Ibiza und hat geschrieben: ‚He komm her, hör auf mit Wandern, hier ist jeden Abend Party und ich hab jeden Tag einen anderen Typen an der Angel.‘ Vom aktuellen Typen hat sie ein Foto geschickt – wir schauen es uns an und lachen! Da wandern wir lieber.

DIE NATUR
Seit ein paar Tagen genieße ich die Natur noch intensiver, sie fällt praktisch auf mich. Sie umschließt mich wie eine perfekt zu meinem Körper passende Decke. Es fühlt sich gut an und richtig und einmalig.  Ich höre die Stille noch intensiver, höre, ob ein Stream plätschert oder ein Wasserfall mit voller Wucht ins Tal kracht. Manchmal höre ich meinen Atem. Zu Beginn war dies mehr ein Schnaufen und überdeckte jeden Vogelgesang. Die Landschaft in der High Sierra ist einzigartig. Spitze Berge wechseln sich mit sanften Wäldern, klaren Bergsehen, Canyons, hohen Pässen und zersplitterten Steinbergen ab. Jede Bergseite ist anders. Auf der Nordseite liegt oft noch Schnee, das schmelzende Weiß sorgt für volle Flüsse. Wir kreuzen Streams, wo in unserer App eigentlich keine sind. Im Süden ist es trocken, heiß, der Trail oft staubig. Ich verstehe nun, warum die High Sierra die Kronjuwelen des PCT sind. Manchmal ist man geschockt von der Schönheit, noch nie war ein Lake so blau, ein Meadow so grün. Es duftet nach Tanne, nach Wildblumen, nach Salbei. Wenn morgens alles frisch und kalt ist mag ich meine Welt besonders.

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Der Morgen in der Sierra

DER PCT
Ich realisiere, dass ich meinen Traum, hier zu wandern, wirklich wahrgemacht habe. Ich bin auf dem PCT. Und ich habe nichts vor außer Wandern. Jeder Schritt sagt mir: Richtig entschieden! Und jeder Schritt bleibt eine Herausforderung: Flüsse queren, Anstiege, Schneefelder, Rückenschmerzen, da der Rucksack mit dem neuen Essen im Bärenkanister fast 14 Kilo wiegt. Ich habe schon viele Meilensteine, die ich mir vorgenommen habe, geschafft! Doch als ich vor zwei Jahren die Buchstaben PCT in mein Tagebuch schrieb landete dahinter auch ein Smiley. 4000 km WANDERN. Du? Ich war mit Freunden an Orten, wo ich nicht mal den Garten verlassen habe und nach zehn Jahren erfuhr, dass direkt am Ende des Gehöfts ein See liegt. Every Dream comes true. Believe it! Every Day! Und jetzt bin ich bei über 2500 km. Und die Reise geht weiter und ich werde nicht müde. Ich liebe den PCT und das Leben mit ihm.

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Kurz vor einer Flussüberquerung

DER TRAIL
Ich bewundere nach wie vor die Erbauer des PCT, die vielen freiwilligen Helfer und Volontäre. Der Trail zieht sich schwungvoll und unermüdlich durch die Wildnis Amerikas, er zieht mich, Ich schaue nach vorn und sage: Ja, ja Trail ich weiss, da liegt Canada! Hier in der High Sierra ist der Trail fast jede Meile anders. Mal superglatt und geräumt, als hätte mein Vater hier fleißig geharkt. Dann liegen Steinbrocken auf dem Trail, Bäume quer – der harte Winter hat seine Spuren hinterlassen. Und natürlich geht der Trail hier schwindelerregend in die Höhe. Was ich, seitdem ich auf dem Mount Whitney war, gut schaffe. Manchmal sieht man Kot. Dann rufe ich wegen der Bären gleich: Hallo, ich bin hier.  Den Trail mag ich nicht, vor allem abends, wenn ich die letzten Meilen bis zur Tentsite hike, wenn es grosse Felsstufen gibt. Die gehen extrem in die Knie.

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Der Piute Pass

DIE PÄSSE
In der High Sierra sind die Pässe Höhepunkte des Trails. Man steht oben und sieht die Welt. Der Hike zum Piute Pass geht leicht, der Trail steigt langsam an und ganz plötzlich ist man oben. Wir lunchen auf dem Pass, es regnet ein wenig. Der Weg down führt über viele Streams. Das Wasser, flüssiger Schnee, ist so eiskalt, ich spüre meine Füße nicht mehr. Danach benötigt mein Körper all seine Energie, um die Füße wieder zum Leben zu erwecken. Was bedeutet, die nächsten Meilen sind hart für mich.
Der Selden Pass begrüßt uns mit Schneefeldern auf der Süd – und Nordseite. Ich ziehe meine Mikrospikes an. Mike ist schnell an diesem Tag. Stefanie kann nicht mehr. Sie beschließt vor der Überquerung zu schlafen. Ich gehe noch die 3 Meilen, ich kann unseren Hikerfreund oben ja nicht warten lassen. Allein steige ich über Flüsse, bewältige Schneefelder, kraxle über Felsen und sehe endlich Mike. Wartend und frierend. Es ist nach 20 Uhr. Wir gehen noch über zwei Schneefelder bis zum Marie Lake. Es ist schon dunkel als ich koche. Erst am nächsten Morgen sehe ich die volle Schönheit des schmalen Passes. Der Silver Pass hat noch mehr Schnee im Angebot, langsam steigen wir nach oben, einige Seen tragen noch eine Eisschicht, darunter kann man tintenblaues Wasser erahnen. Wir schaffen den Weg gut, wir haben es leicht, da die Pinky Gang hier überall Footprints hinterlassen hat. Die Aussicht ist phantastisch, ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich die Berge sehe, die wir hinter uns gelassen haben.

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Auf dem Silver Pass

MÜCKEN und mehr
Viel Wasser in der Sierra heißt auch viele Mücken. Oft wandere ich mit einem Moskitonetz über dem Kopf, es geht nicht anders. Gut ist, dass die Mücken das total giftige Spray hassen. Schlecht ist, meine Haut hasst es auch. Immer wenn ich es benutze wird die Haut hart wie Stein, meine Lippen und die Mundschleimhäute schwellen an. Schlimmer jedoch sind die Fliegen. Ganze Familien lassen sich auf Armen und Beinen nieder. Die will keiner auch noch mitschleppen. Schlagen und zappeln helfen kaum. Fluchen auch nicht. Ganz gemein sind die Bremsen, sie landen auf dem Körper und beißen sofort zu. Ab und an quälen mich rote Ameisen, zwei schlimme Spinnenbisse hatte ich auch schon. Gut, dass es da auch noch die süssen Tiere gibt. Streifenhörnchen schauen gern beim Frühstück zu, ganz nah kommen sie heran und freuen sich über jeden Krümel. Erdmännchen sind scheu, sie richten sich auf, schauen neugierig aus sicherer Entfernung. Murmeltiere sind frech, sie pfeifen laut und würden am liebsten in die Bärenbox hinein krabbeln.

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WOHLBEFINDEN
Wenn ich in Städten wie in Bishop bin esse ich ganz viel. Auf dem Trail ist es etwas besser geworden. Morgens ein Protein Cliff Bar. Unterwegs ein Riegel und noch hab ich Bumix von meinen Coyoten. Mittags gibt es etwas Kartoffelbrei, meist mit Tuna. Am Abend Ramen. Ich habe bisher noch keine Blasen gehabt. Manchmal melden sich die Knie. Meine Haut sieht schlimm aus, keine nahen Fotos bitte. Überall Kratzer, Risse, trockene Stellen und Stiche. Da muss ich wohl daheim für eine Woche in einem Spa verschwinden.

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Mittagspause auf dem Pass

JMT Hiker
Die meisten wandern den 340 km langen Trail SoBo, also vom Yosemite Valley zum Mt. Whitney und kommen uns somit entgegen. Immer wieder freue ich mich über JMTler die staunen, wenn man sagt: Ich hike den PCT! Oft sehe ich ältere Paare oder ein Grossvater mit seinem Enkel, ein Manager aus Austin. Aus seinem Rucksack schaut ein Teddy: ‚Den hat mir meine Tochter für den Trail ausgeborgt. Da konnte ich schlecht Nein sagen.‘  Fast alle haben schwere Rucksäcke, tragen ihr Essen für mehrere Tage mit, weil sie nicht wie wir zum Einkauf abgehen. Die besser Verdienenden nutzen die Lieferung per Pferd. Wenn sie zu viel bestellt haben legen sie Essen in die Bärenboxen, darüber freut sich immer Stefanie.

PCT HIKER
Ich habe gedacht, dass wir mehr PCT Hiker treffen. Aber die meisten sind dann wohl doch in Oregon und Washington oder gehen nun SoBo. Ein paar treffen wir aber. Wie ‚Dream Breaker‘, ein Vietnamese aus L.A. Er rennt uns fast um, er ist schnell unterwegs. Wegen des Schnees ist er spät gestartet und will es nun bis Canada noch schaffen. Er hikt um die 30 Meilen am Tag. Ja, da hat man keine Zeit zum Träumen. Und wir treffen ‚Boomer‘ – einen ehemaligen israelischen Soldaten, auch mit ihm können wir nicht mithalten.

RIVERCROSSING
Als wir in der Sierra Nevada gestartet sind habe ich mich am meisten vor dem Schnee gefürchtet. Doch nun gehört mein grösster Respekt den Flüssen, Streams and Creeks. Sie zu überqueren – es gibt natürlich keine Brücken – ist eine grosse Herausforderung für mich. Schon wenn ich das Wasser rauschen höre bevor ich den Fluss sehe, bekomme ich Gänsehaut. Ist man davor schaut man erstmal, wo man am besten überqueren kann. Manchmal direkt am Trail. Ich gehe quer zur Strömung, haue meine Stöcke vor mich und gehe Schritt für Schritt. Das Wasser reicht manchmal bis zur Hüfte, ich vergesse zu atmen. Schlimmer sind Baumstämme, die über dem Fluss liegen. Mike tanzt immer locker rüber, ich zittere am ganzen Körper, versuche das laute Rauschen der Wassermassen zu ignorieren. Haben wir es geschafft klatschen wir uns immer ab. Oft wandern wir nun mit nassen Schuhen, sie stinken so doll, dass sie abends vor meinem Zelt stehend garantiert beste Bärabwehr sind.

HIKERBOX
Wenn man Glück hat findet man so Einiges in Hikerboxen. Manchmal nehme ich eine Gaskatusche mit, Sonnencreme oder Zippertüten. Stefanie ist die Königin der Hikerbox. Als sie in San Diego ankam schauten Scout und Frodo im Trail Angel Haus nicht schlecht, als sie ihren 45 l Rucksack sahen. Damit willst Du den PCT gehen? Wo packst du Essen und Wasser hin? Stefanie hatte Glück, in der Hikerbox lag ein 57 l Rucksack. Gefunden hat sie auf dem Trail auch Wanderstöcke, Handschuhe, ein Feuerzeug, einen Hut, Essen.

GEAR
Wenn ich mir meine Gear Liste anschaue, die ich daheim erstellt habe, muss ich schmunzeln. So manches ist hinzu gekommen, die Ausgaben finden leider kein Ende. Mal verliere ich Messer und Topfdeckel. Dann brechen die Wanderstöcke, dann benötige ich neue Kleidung, weil die alten Sachen einfach schlabbern. Würde ich jetzt den PCT beginnen, hätte ich im Gepäck einen wärmeren Schlafsack und ein anderes Zelt. Mein Big Agnes Fly Creek UL2 wird allen Anforderungen gerecht, aber der Eingang über Kopf nervt. Ich würde ein Zelt mit Seiteneingang nehmen, mehr Luxus.

PINKY GANG
Unserer Gang geht es gut. Sie sind jetzt in Chester, wo wir schon waren. Nun können sie meinen Pinkbändern, die ich hinterliess, folgen. Fielder ist nicht mehr auf dem Trail. Der Vater seines Freundes ist gestorben, er steht an seiner Seite, will aber wiederkommen. Calvin hat nur noch zwei Wochen auf dem Trail dann beginnt sein Medizinstudium. Ben und Brooks haben geschrieben: Second beautiful mom we miss you! Und sie haben ganz lieb gratuliert zur Besteigung des Mt. Whitney. Wir schaün jetzt, wie weit die Gang ist, wenn wir um den 15. August in Bend in Oregon den PCT betreten. Vielleicht klappt die Reunion noch.

Tag 111. Wir erreichen das Red Meadow Resort in der Nähe von Mammoth Lake. Und Treffen auf Touristen, die sich hier die berühmten Rainbow Falls und Devil Post Pile anschauen. Ganze Busladungen landen hier. Man geht 10 Minuten zu den Naturwundern und sitzt anschliessend zwei Stunden bei Burger und Pommes. Stefanie ist runter in die Stadt, sie muss Dokumente zu ihrem neuen Arbeitgeber Amazon schicken. Mike und ich kaufen Cracker, Käse, Salami und Bier und beobachten entspannt und stinkend und dreckig das touristische Treiben. Erst zum Abend leisten wir uns eine Dusche – 7 Dollar für 5 Minuten, dies sind die Preise in the middle of nowhere. Dann gehen wir zum Campground, treffen andere PCT und JMT Hiker. Es gibt ein Feuer, alle stehen im Kreis um das fackelnde Wärmende und ich sage: Make a wish! Die JMT Hiker rufen: Mt. Whitney! Die PCT Hiker rufen: Canada! So einfach ist das Leben.

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Immer weiter Richtung Canada

 

5 Gedanken zu “Tag 106 – Tag 111 / KM 2351 – KM 2535 / PCT-Meile 790 – 905 / Von Bishop nach Mammoth Lake / Into thin Air

  1. Schade, habe gedacht, ich treffe Euch nächste Woche in red meadows. Ihr seid schneller gewesen 😉
    Deine Berichte lesen sich mittlerweile ganz anders, als zu Beginn. Du bist voll im PCT angekommen…… es freut mich sehr, wie Du im hiken aufgehst
    Weiter so!!!!!!

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  2. „So einfach ist das Leben…“

    Ich bendeide dich und bewundere deine Tapferkeit. Nur immer weiter…Schritt für Schritt!

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  3. oh man das ist so toll zu lesen.
    lieg im bett, lese deinen Bericht und werde nun von den sierras träumen.
    soll ich ? vieleicht 2020?
    ganz grosses DANKE fürs mitnehemen auf deiner Reise. schwer beeindruckt

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Danke für die Unterstützung!